Bejarano & Microphone Mafia sup. The Dirty dozen – live in Neumünster

22. November 2017

Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen, die uns von den Verbrechen der Nazis berichten können. Esther Bejarano wird im Dezember 93 Jahre alt. Am 11. November 2017 war sie hier in Neumünster zu Gast. Und sie hat hier an einem sehr eindrucksvollen Abend im vollbesetzten „statt theater“ im Haart über ihre Erlebnisse berichtet.

Esther Bejanaro ist Überlebende des KZ Auschwitz und des KZ Ravensbrück. Als Musikerin steht sie bis heute auf der Bühne. 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und hatte dort das Glück im Unglück, im Mädchenorchester zu musizieren. Sonst hätte sie das wohl nicht überlebt, wie sie an diesem Abend berichtete.

In einem Interview mit dem Radiosender „FSK Hamburg“ aus dem Januar 2015 erzählt Esther sinngemäß Folgendes:

Esther Bejerano ließt die eigene Geschichte – von Auschwitz über Ravensbrück in die Freiheit

Es war 1945. Ich war zusammen mit sieben Mädchen auf dem Todesmarsch, die ich in Malchow kennengelernt hatte. Wir gingen alle zusammen in einer Reihe. Wisst ihr, was ein Todesmarsch ist? Auf jeder Seite ging ein SS-Mann mit Gewehr. Wenn jemand hingefallen war, wurde er sofort erschossen, wenn er nicht schnell genug aufstand. Ich und meine Freundinnen horchten auf, als ein SS-Mann sagte „Es darf nicht mehr geschossen werden“. Da haben wir uns entschieden, aus der Kolonne wegzugehen. Der Marsch ging zur Ostsee. Was hatte man mit uns vor, wo sollen wir hin? Die bringen uns dort hin, die werden uns ertränken. In Ravensbrück hatte man uns gesagt, wir sollen uns Zivilkleidung unter der Häftlingskleidung anziehen. Die kommunistischen Frauen im KZ Ravensbrück hatten ein Radio in einer Decke versteckt und wussten genau, was draußen los ist, wo sind die Russen. „Die Russen sind schon kurz vor der Tür.“ Als wir durch einen Wald gingen, sind wir eine nach der anderen aus der Kolonne ausgeschieden. Wir Frauen haben uns im Wald wieder getroffen, sind durch den Wald geirrt und sind dann zusammen weiter. Irgendwann stießen wir auf amerikanische Tanks (Panzer). Die Amerikaner haben sich gefreut, dass sie helfen konnten. Das Ganze hat sich abgespielt in Mecklenburg (im Ort Lübz). Wir sind dann eingeladen worden in ein Restaurant. Ein Amerikaner sagte: „Ihr müsst uns jetzt erzählen, woher ihr kommt.“ Dann haben wir aus Auschwitz und Ravensbrück erzählt. Ich konnte Englisch und hab ihnen vom Mädchenorchester erzählt, in dem ich Akkordeon spielte. Eine halbe Stunde später habe ich dann zusammen mit den Amerikanern Akkordeon gespielt. Der Amerikaner holte etwas und sagte dann: „Das ist dein Akkordeon“.

Es gab Kuchen und Tee sowie Kaffee. Plötzlich haben wir einen ganz großen Krach auf der Straße gehört. Da kam die rote Armee reinmarschiert. Sie schrien „Der Krieg ist aus, Hitler ist tot!“. Die amerikanischen und russischen Soldaten haben sich umarmt und geküsst. Wir sieben Mädchen waren immer darunter. Ein Soldat sagte: „Das muss gefeiert werden.“ Russische Soldaten kamen mit einem riesig großen Hitlerbild. Ein russischer und ein amerikanischer Soldat haben das Hitlerbild gemeinsam angezündet und alle, wie sie da waren, haben um das brennende Bild getanzt. Und das war meine Befreiung vom Hitlerfaschismus Und das werde ich nie, nie vergessen, weil es eine unglaublich tolle Befreiung war.

Nach der Lesung von Esther Bejarano hatte jeder der Anwesenden sicherlich mit unglaublich viel Rührung zu kämpfen und es flossen auch Tränen. Doch trotz des ernsten Themas wurde beim anschließenden Auftritt am 11. November 2017 in Neumünster auch viel gelacht. Vor allem dank Kutlu Yurtseven.

Kutlu Yurtseven

Er nimmt kein Blatt vor dem Mund, wenn er mit ihr auf der Bühne steht. Er rappt seit den 1980er Jahren und betreibt ein Label, er ist politisch aktiv und arbeitet als Sozialarbeiter, als Lehrer oder steht auch auf der Theaterbühne.

Bereits 1989 hat er in Köln die “Microphone Mafia” mitgegründet, wohl eine der ersten interkulturellen Hip Hop Bands in Deutschland. Zwei Alben haben die “Mafia-Musiker” schon zusammen mit Esther Bejarano veröffentlicht und seit fast 10 Jahren touren sie zusammen. Wie diese Zusammenarbeit entstand, hat Kutlu Yurtseven an diesem Abend erzählt. Zur Musik könnte man sicher diverse Artikel schreiben, nur so viel sei gesagt: Die Band kombiniert unterschiedliche Stile und verbindet über sie die Inhalte: Antirassismus, Anti-Antisemitismus, Antifaschismus, Widerstand, Antimilitarismus, Selbstbestimmung und Emanzipation.

Die VVN/BdA Neumünster, die am organisatorischen Teil „hinter den Kulissen“ mit beteiligt war, zeigte im Foyer des „statt theater“ die Wanderausstellung „Der Arm der Bewegung“, die rechtsextreme Bewegungen und Entwicklungen in der AfD aufzeigen will. Somit erhielt die Veranstaltung noch einen ganz aktuellen Bezug zur Gegenwart. Wer mehr über die Ausstellung erfahren oder sie sogar ausleihen möchte, kann sich an sh@vvn-bda.de wenden. Wir bedanken uns an dieser Stelle zunächst bei Esther & Joram Bejarano, bei Kutlu Yurtseven, bei den interessierten Gästen der Veranstaltung und beim Runden Tisch für Toleranz & Demokratie der Stadt Neumünster und der Buchhandlung Krauskopf, die alle zusammen das Konzert mit vorangehender Lesung zu einer echten Bereicherung des vielfältigen antifaschistischen Engagements in dieser Stadt machten. Danke auch an „The Dirty Dozen“, die tolle Band der Musikschule Neumünster, die als Vorgruppe Widerstandslieder aus vielen Erdteilen vortrug. Bei den 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmern werden Esther & Band ganz sicher bleibende Spuren hinterlassen. Sie werden uns helfen im Widerstand gegen Rassismus und die anderen rechten Ideologien, die seit kurzem wieder stärker um sich greifen – in Deutschland, in Europa, ja in der ganzen Welt. Vielen Dank dafür!!!!

Konzert mit Esther Bejerano und der Microphone Mafia

Konzert mit Esther Bejerano und der Microphone Mafia

The Dirty Dozen der Musikschule Neumünster