Appell an die Jugend
14. März 1997
Nehmt es wahr, nehmt wenigstens ihr es wahr……was von Eueren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde: Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand.
Zumeist waren es einfache Frauen und Männer, vorwiegend aus der Arbeiterbewegung, in der Mehrzahl Jugendliche, die gegen Hitler und den Krieg kämpften. Nicht erst, als offenkundig wurde, daß Hitler den Krieg verliert, sondern von 1933 an! Den Krieg wollten sie verhindern, den jüdischen Menschen, den Völkern Europas und dem eigenen Volk das unermeßliche Leid ersparen, das der Nazifaschismus letztlich über sie brachte. Dafür riskierten sie alles, ihre Existenz, ihre Freiheit und ihr Leben, nahmen Konzentrationslager und Folter in Kauf. Vergeßt deshalb nie! Ihnen ist es zu verdanken, daß der Name unseres Landes nicht ausschließlich mit Schande und Ehrlosigkeit besudelt wurde.
Wir, die Überlebenden, haben vor 50 Jahren die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«, die VVN gegründet. Unterschiedlich in unseren politischen und weltanschaulichen Auffassungen, sowie in unserer sozialen Herkunft, waren wir gemeinsam im Widerstand und verfolgt. So haben wir auch gemeinsam die VVN gegründet, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Juden und Christen. Wir haben überlebt mit einem einzigen Gedanken: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Es galt das Vermächtnis der Millionen Toten der faschistischen Massenvernichtung zu bewahren, die die Befreiung am 8.Mai nicht erleben konnten.
Der Nazihölle entronnen, dem sogenannten »Tausendjährigen Reich«, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war, jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Diese entsetzliche Zeit hinter uns, träumten wir von einem künftigen Leben ohne Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus.
Wir wollten, daß unsere unmenschlichen Erfahrungen eine Warnung für die Nachwelt sein würden.
Wir träumten von einem Leben in sozialer Gerechtigkeit, in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.
Wir träumten, daß nun für alle Zeiten unsere Kinder und Kindeskinder sich der Sonne, der Blumen, der Liebe erfreuen können, ohne in Angst vor Faschismus und Krieg leben zu müssen. Nach der Befreiung war es für uns, die Überlebenden, unvorstellbar, daß fast nichts von unseren Visionen und Hoffnungen in Erfüllung gehen würde.
Unfaßbar für uns, wie reibungslos sich der Übergang vom Nazireich in die Bundesrepublik vollzog. Daß ehemalige hohe Nazifunktionäre entscheidende Positionen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Hochschulen, Medizin, im Geheimdienst und Militär einnahmen, und damit jahrzehntelang wesentlich das Klima der Politik und die prägenden Geburtsjahre dieser Republik bestimmten. Kriegsverbrecher, selten belangt und wenn, dann schonend behandelt, erhalten bis heute Opferrenten, während ganze Gruppen von Verfolgten des Naziregimes, u.a. ehemalige Zwangsarbeiter, immer noch ohne Entschädigung bleiben. Ganz zu schweigen von dem diskriminierenden Umgang mit Wehrmachtsdeserteuren die sich verweigerten, einem verbrecherischen Krieg zu dienen.
1945 war es für uns unvorstellbar, daß Ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. Und nun noch die ungeheure Massenarbeitslosigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich, die katastrophale Zerstörung der Umwelt. Immer mehr junge Menschen leben in Zukunftsängsten.
Wir hoffen auf Euch. Auf eine Jugend, die das alles nicht stillschweigend hinnehmen wird! Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpaßt, die ihm zu trotzen versteht, und deren Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist.
Wir setzen auf eine Jugend, höllisch wachsam gegen alles, das wieder zu einer ähnlich braunen Barbarei führen könnte; eine Jugend, die nicht wegsieht, wo Unrecht geschieht, wo Menschenrechte verletzt werden; eine Jugend, die sich in die Tradition des antifaschistischen Widerstandes zu stellen vermag, eine Jugend, die diese Tradition aufnimmt und auf ihre eigene Art und Weise weiterführt. Wir glauben, daß dafür Eure Herzen brennen können, daß Euer Gewissen nicht ruhen wird.
Laßt Euch nicht wegnehmen, was Ihr noch an demokratischen und sozialen Errungenschaften vorfindet. Laßt sie nicht weiter abbauen! Von keinem Regierenden sind sie Euch geschenkt worden:
Es sind vor allem die Errungenschaften des antifaschistischen Widerstandes, der Niederringung des Nazifaschismus. Verteidigt, was Ihr noch habt, verteidigt es mit Klauen und Zähnen!
Es verlangt nur etwas Zivilcourage, nicht einmal besonderen Mut. Ihr riskiert nicht das Leben, nichts was dem antifaschistischen Widerstand vergleichbar wäre. Und vergeßt nicht: Der Internationalismus und die Solidarität mit den Benachteiligten und Ausgegrenzten sind unentbehrlich in diesem Kampf. Knüpft dieses Band immer fester, macht es unzerreißbar!
Reiht Euch auch ein in die Kampfgemeinschaft VVN-Bund der Antifaschisten, der organisierte Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses an Widerstand und Verfolgung. Sie braucht Euch! In absehbarer Zeit wird es keine Zeitzeugen des schrecklichsten Abschnitts deutscher Geschichte mehr geben. Laßt das Vermächtnis des Widerstandes nicht in Vergessenheit versinken, den Schwur von Buchenwald:
»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!«
Übernehmt Ihr nun diesen immer noch zu erfüllenden Auftrag: ein gesichertes menschenwürdiges Leben im friedlichen Nebeneinander mit den Völkern der Welt! Sorgt dafür, daß aus der Bundesrepublik ein dauerhaftes, antifaschistisches, humanes, freiheitliches Gemeinwesen wird, in dem einem Wiederaufflammen des Nazismus, nationalem Größenwahn und rassistischen Vorurteilen keinen Raum mehr gegeben wird.
Wir vertrauen auf die Jugend, wir bauen auf die Jugend, auf Euch!
Esther Bejarano, 1924 geboren in Saarlois/ Saarland. 1940 flüchtet die Familie vor den Nazis nach Breslau, wo Esther 1941 in das Zwangsarbeiterlager Neuendorf gebracht wurde, während ihre Eltern nach Riga (Litauen) deportiert und dort in einem Wald von der SS erschossen wurden. Am 20. April 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und musste zunächst in einem Arbeitskommando Steine schleppen. Später hatte sie die Möglichkeit, wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten, im Mädchenorchester von Auschwitz zu spielen. Auf einem Todesmarsch konnte sie fliehen. Sie überlebte, ging nach Israel und kehrte 1960 mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Heute tritt sie als Zeitzeugin auf und gibt Konzerte mit jiddischen Liedern.
Peter Gingold, 1916 in Aschaffenburg geboren, wurde 1933 verhaftet und musste nach mehreren Monaten Gefängnis nach Frankreich emigrieren. Dort war er in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung aktiv. Er wurde 1943 verhaftet und gefoltert. Durch eine List entkam er den Nazis. Er schloß sich erneut der Résistance an und half bei der Befreiung von Paris. Später in Italien ging er zu den Partisanen, um weiter gegen den Faschismus zu kämpfen. Nach der Befreiung lebte er wieder in Frankfurt und war in der kommunistischen und antifaschistischen Bewegung aktiv. Als Zeitzeuge sprach er vor tausenden Schulklassen und Jugendgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen, wo er seine Erfahrungen auf sehr lebendige und eindringliche Art vermittelte. Peter Gingold starb am 29. Oktober 2006 in Frankfurt am Main.
Appell an die Jugend
14. März 1997
Nehmt es wahr, nehmt wenigstens ihr es wahr……was von Eueren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde: Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand.
Zumeist waren es einfache Frauen und Männer, vorwiegend aus der Arbeiterbewegung, in der Mehrzahl Jugendliche, die gegen Hitler und den Krieg kämpften. Nicht erst, als offenkundig wurde, daß Hitler den Krieg verliert, sondern von 1933 an! Den Krieg wollten sie verhindern, den jüdischen Menschen, den Völkern Europas und dem eigenen Volk das unermeßliche Leid ersparen, das der Nazifaschismus letztlich über sie brachte. Dafür riskierten sie alles, ihre Existenz, ihre Freiheit und ihr Leben, nahmen Konzentrationslager und Folter in Kauf. Vergeßt deshalb nie! Ihnen ist es zu verdanken, daß der Name unseres Landes nicht ausschließlich mit Schande und Ehrlosigkeit besudelt wurde.
Wir, die Überlebenden, haben vor 50 Jahren die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«, die VVN gegründet. Unterschiedlich in unseren politischen und weltanschaulichen Auffassungen, sowie in unserer sozialen Herkunft, waren wir gemeinsam im Widerstand und verfolgt. So haben wir auch gemeinsam die VVN gegründet, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Juden und Christen. Wir haben überlebt mit einem einzigen Gedanken: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Es galt das Vermächtnis der Millionen Toten der faschistischen Massenvernichtung zu bewahren, die die Befreiung am 8.Mai nicht erleben konnten.
Der Nazihölle entronnen, dem sogenannten »Tausendjährigen Reich«, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war, jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Diese entsetzliche Zeit hinter uns, träumten wir von einem künftigen Leben ohne Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus.
Wir wollten, daß unsere unmenschlichen Erfahrungen eine Warnung für die Nachwelt sein würden.
Wir träumten von einem Leben in sozialer Gerechtigkeit, in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.
Wir träumten, daß nun für alle Zeiten unsere Kinder und Kindeskinder sich der Sonne, der Blumen, der Liebe erfreuen können, ohne in Angst vor Faschismus und Krieg leben zu müssen. Nach der Befreiung war es für uns, die Überlebenden, unvorstellbar, daß fast nichts von unseren Visionen und Hoffnungen in Erfüllung gehen würde.
Unfaßbar für uns, wie reibungslos sich der Übergang vom Nazireich in die Bundesrepublik vollzog. Daß ehemalige hohe Nazifunktionäre entscheidende Positionen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Hochschulen, Medizin, im Geheimdienst und Militär einnahmen, und damit jahrzehntelang wesentlich das Klima der Politik und die prägenden Geburtsjahre dieser Republik bestimmten. Kriegsverbrecher, selten belangt und wenn, dann schonend behandelt, erhalten bis heute Opferrenten, während ganze Gruppen von Verfolgten des Naziregimes, u.a. ehemalige Zwangsarbeiter, immer noch ohne Entschädigung bleiben. Ganz zu schweigen von dem diskriminierenden Umgang mit Wehrmachtsdeserteuren die sich verweigerten, einem verbrecherischen Krieg zu dienen.
1945 war es für uns unvorstellbar, daß Ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. Und nun noch die ungeheure Massenarbeitslosigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich, die katastrophale Zerstörung der Umwelt. Immer mehr junge Menschen leben in Zukunftsängsten.
Wir hoffen auf Euch. Auf eine Jugend, die das alles nicht stillschweigend hinnehmen wird! Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpaßt, die ihm zu trotzen versteht, und deren Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist.
Wir setzen auf eine Jugend, höllisch wachsam gegen alles, das wieder zu einer ähnlich braunen Barbarei führen könnte; eine Jugend, die nicht wegsieht, wo Unrecht geschieht, wo Menschenrechte verletzt werden; eine Jugend, die sich in die Tradition des antifaschistischen Widerstandes zu stellen vermag, eine Jugend, die diese Tradition aufnimmt und auf ihre eigene Art und Weise weiterführt. Wir glauben, daß dafür Eure Herzen brennen können, daß Euer Gewissen nicht ruhen wird.
Laßt Euch nicht wegnehmen, was Ihr noch an demokratischen und sozialen Errungenschaften vorfindet. Laßt sie nicht weiter abbauen! Von keinem Regierenden sind sie Euch geschenkt worden:
Es sind vor allem die Errungenschaften des antifaschistischen Widerstandes, der Niederringung des Nazifaschismus. Verteidigt, was Ihr noch habt, verteidigt es mit Klauen und Zähnen!
Es verlangt nur etwas Zivilcourage, nicht einmal besonderen Mut. Ihr riskiert nicht das Leben, nichts was dem antifaschistischen Widerstand vergleichbar wäre. Und vergeßt nicht: Der Internationalismus und die Solidarität mit den Benachteiligten und Ausgegrenzten sind unentbehrlich in diesem Kampf. Knüpft dieses Band immer fester, macht es unzerreißbar!
Reiht Euch auch ein in die Kampfgemeinschaft VVN-Bund der Antifaschisten, der organisierte Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses an Widerstand und Verfolgung. Sie braucht Euch! In absehbarer Zeit wird es keine Zeitzeugen des schrecklichsten Abschnitts deutscher Geschichte mehr geben. Laßt das Vermächtnis des Widerstandes nicht in Vergessenheit versinken, den Schwur von Buchenwald:
»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!«
Übernehmt Ihr nun diesen immer noch zu erfüllenden Auftrag: ein gesichertes menschenwürdiges Leben im friedlichen Nebeneinander mit den Völkern der Welt! Sorgt dafür, daß aus der Bundesrepublik ein dauerhaftes, antifaschistisches, humanes, freiheitliches Gemeinwesen wird, in dem einem Wiederaufflammen des Nazismus, nationalem Größenwahn und rassistischen Vorurteilen keinen Raum mehr gegeben wird.
Wir vertrauen auf die Jugend, wir bauen auf die Jugend, auf Euch!
Esther Bejarano, 1924 geboren in Saarlois/ Saarland. 1940 flüchtet die Familie vor den Nazis nach Breslau, wo Esther 1941 in das Zwangsarbeiterlager Neuendorf gebracht wurde, während ihre Eltern nach Riga (Litauen) deportiert und dort in einem Wald von der SS erschossen wurden. Am 20. April 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und musste zunächst in einem Arbeitskommando Steine schleppen. Später hatte sie die Möglichkeit, wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten, im Mädchenorchester von Auschwitz zu spielen. Auf einem Todesmarsch konnte sie fliehen. Sie überlebte, ging nach Israel und kehrte 1960 mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Heute tritt sie als Zeitzeugin auf und gibt Konzerte mit jiddischen Liedern.
Peter Gingold, 1916 in Aschaffenburg geboren, wurde 1933 verhaftet und musste nach mehreren Monaten Gefängnis nach Frankreich emigrieren. Dort war er in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung aktiv. Er wurde 1943 verhaftet und gefoltert. Durch eine List entkam er den Nazis. Er schloß sich erneut der Résistance an und half bei der Befreiung von Paris. Später in Italien ging er zu den Partisanen, um weiter gegen den Faschismus zu kämpfen. Nach der Befreiung lebte er wieder in Frankfurt und war in der kommunistischen und antifaschistischen Bewegung aktiv. Als Zeitzeuge sprach er vor tausenden Schulklassen und Jugendgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen, wo er seine Erfahrungen auf sehr lebendige und eindringliche Art vermittelte. Peter Gingold starb am 29. Oktober 2006 in Frankfurt am Main.
Appell an die Jugend
14. März 1997
Nehmt es wahr, nehmt wenigstens ihr es wahr……was von Eueren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde: Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand.
Zumeist waren es einfache Frauen und Männer, vorwiegend aus der Arbeiterbewegung, in der Mehrzahl Jugendliche, die gegen Hitler und den Krieg kämpften. Nicht erst, als offenkundig wurde, daß Hitler den Krieg verliert, sondern von 1933 an! Den Krieg wollten sie verhindern, den jüdischen Menschen, den Völkern Europas und dem eigenen Volk das unermeßliche Leid ersparen, das der Nazifaschismus letztlich über sie brachte. Dafür riskierten sie alles, ihre Existenz, ihre Freiheit und ihr Leben, nahmen Konzentrationslager und Folter in Kauf. Vergeßt deshalb nie! Ihnen ist es zu verdanken, daß der Name unseres Landes nicht ausschließlich mit Schande und Ehrlosigkeit besudelt wurde.
Wir, die Überlebenden, haben vor 50 Jahren die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«, die VVN gegründet. Unterschiedlich in unseren politischen und weltanschaulichen Auffassungen, sowie in unserer sozialen Herkunft, waren wir gemeinsam im Widerstand und verfolgt. So haben wir auch gemeinsam die VVN gegründet, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Juden und Christen. Wir haben überlebt mit einem einzigen Gedanken: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Es galt das Vermächtnis der Millionen Toten der faschistischen Massenvernichtung zu bewahren, die die Befreiung am 8.Mai nicht erleben konnten.
Der Nazihölle entronnen, dem sogenannten »Tausendjährigen Reich«, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war, jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Diese entsetzliche Zeit hinter uns, träumten wir von einem künftigen Leben ohne Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus.
Wir wollten, daß unsere unmenschlichen Erfahrungen eine Warnung für die Nachwelt sein würden.
Wir träumten von einem Leben in sozialer Gerechtigkeit, in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.
Wir träumten, daß nun für alle Zeiten unsere Kinder und Kindeskinder sich der Sonne, der Blumen, der Liebe erfreuen können, ohne in Angst vor Faschismus und Krieg leben zu müssen. Nach der Befreiung war es für uns, die Überlebenden, unvorstellbar, daß fast nichts von unseren Visionen und Hoffnungen in Erfüllung gehen würde.
Unfaßbar für uns, wie reibungslos sich der Übergang vom Nazireich in die Bundesrepublik vollzog. Daß ehemalige hohe Nazifunktionäre entscheidende Positionen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Hochschulen, Medizin, im Geheimdienst und Militär einnahmen, und damit jahrzehntelang wesentlich das Klima der Politik und die prägenden Geburtsjahre dieser Republik bestimmten. Kriegsverbrecher, selten belangt und wenn, dann schonend behandelt, erhalten bis heute Opferrenten, während ganze Gruppen von Verfolgten des Naziregimes, u.a. ehemalige Zwangsarbeiter, immer noch ohne Entschädigung bleiben. Ganz zu schweigen von dem diskriminierenden Umgang mit Wehrmachtsdeserteuren die sich verweigerten, einem verbrecherischen Krieg zu dienen.
1945 war es für uns unvorstellbar, daß Ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. Und nun noch die ungeheure Massenarbeitslosigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich, die katastrophale Zerstörung der Umwelt. Immer mehr junge Menschen leben in Zukunftsängsten.
Wir hoffen auf Euch. Auf eine Jugend, die das alles nicht stillschweigend hinnehmen wird! Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpaßt, die ihm zu trotzen versteht, und deren Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist.
Wir setzen auf eine Jugend, höllisch wachsam gegen alles, das wieder zu einer ähnlich braunen Barbarei führen könnte; eine Jugend, die nicht wegsieht, wo Unrecht geschieht, wo Menschenrechte verletzt werden; eine Jugend, die sich in die Tradition des antifaschistischen Widerstandes zu stellen vermag, eine Jugend, die diese Tradition aufnimmt und auf ihre eigene Art und Weise weiterführt. Wir glauben, daß dafür Eure Herzen brennen können, daß Euer Gewissen nicht ruhen wird.
Laßt Euch nicht wegnehmen, was Ihr noch an demokratischen und sozialen Errungenschaften vorfindet. Laßt sie nicht weiter abbauen! Von keinem Regierenden sind sie Euch geschenkt worden:
Es sind vor allem die Errungenschaften des antifaschistischen Widerstandes, der Niederringung des Nazifaschismus. Verteidigt, was Ihr noch habt, verteidigt es mit Klauen und Zähnen!
Es verlangt nur etwas Zivilcourage, nicht einmal besonderen Mut. Ihr riskiert nicht das Leben, nichts was dem antifaschistischen Widerstand vergleichbar wäre. Und vergeßt nicht: Der Internationalismus und die Solidarität mit den Benachteiligten und Ausgegrenzten sind unentbehrlich in diesem Kampf. Knüpft dieses Band immer fester, macht es unzerreißbar!
Reiht Euch auch ein in die Kampfgemeinschaft VVN-Bund der Antifaschisten, der organisierte Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses an Widerstand und Verfolgung. Sie braucht Euch! In absehbarer Zeit wird es keine Zeitzeugen des schrecklichsten Abschnitts deutscher Geschichte mehr geben. Laßt das Vermächtnis des Widerstandes nicht in Vergessenheit versinken, den Schwur von Buchenwald:
»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!«
Übernehmt Ihr nun diesen immer noch zu erfüllenden Auftrag: ein gesichertes menschenwürdiges Leben im friedlichen Nebeneinander mit den Völkern der Welt! Sorgt dafür, daß aus der Bundesrepublik ein dauerhaftes, antifaschistisches, humanes, freiheitliches Gemeinwesen wird, in dem einem Wiederaufflammen des Nazismus, nationalem Größenwahn und rassistischen Vorurteilen keinen Raum mehr gegeben wird.
Wir vertrauen auf die Jugend, wir bauen auf die Jugend, auf Euch!
Esther Bejarano, 1924 geboren in Saarlois/ Saarland. 1940 flüchtet die Familie vor den Nazis nach Breslau, wo Esther 1941 in das Zwangsarbeiterlager Neuendorf gebracht wurde, während ihre Eltern nach Riga (Litauen) deportiert und dort in einem Wald von der SS erschossen wurden. Am 20. April 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und musste zunächst in einem Arbeitskommando Steine schleppen. Später hatte sie die Möglichkeit, wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten, im Mädchenorchester von Auschwitz zu spielen. Auf einem Todesmarsch konnte sie fliehen. Sie überlebte, ging nach Israel und kehrte 1960 mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Heute tritt sie als Zeitzeugin auf und gibt Konzerte mit jiddischen Liedern.
Peter Gingold, 1916 in Aschaffenburg geboren, wurde 1933 verhaftet und musste nach mehreren Monaten Gefängnis nach Frankreich emigrieren. Dort war er in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung aktiv. Er wurde 1943 verhaftet und gefoltert. Durch eine List entkam er den Nazis. Er schloß sich erneut der Résistance an und half bei der Befreiung von Paris. Später in Italien ging er zu den Partisanen, um weiter gegen den Faschismus zu kämpfen. Nach der Befreiung lebte er wieder in Frankfurt und war in der kommunistischen und antifaschistischen Bewegung aktiv. Als Zeitzeuge sprach er vor tausenden Schulklassen und Jugendgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen, wo er seine Erfahrungen auf sehr lebendige und eindringliche Art vermittelte. Peter Gingold starb am 29. Oktober 2006 in Frankfurt am Main.
Appell an die Jugend
14. März 1997
Nehmt es wahr, nehmt wenigstens ihr es wahr……was von Eueren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde: Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand.
Zumeist waren es einfache Frauen und Männer, vorwiegend aus der Arbeiterbewegung, in der Mehrzahl Jugendliche, die gegen Hitler und den Krieg kämpften. Nicht erst, als offenkundig wurde, daß Hitler den Krieg verliert, sondern von 1933 an! Den Krieg wollten sie verhindern, den jüdischen Menschen, den Völkern Europas und dem eigenen Volk das unermeßliche Leid ersparen, das der Nazifaschismus letztlich über sie brachte. Dafür riskierten sie alles, ihre Existenz, ihre Freiheit und ihr Leben, nahmen Konzentrationslager und Folter in Kauf. Vergeßt deshalb nie! Ihnen ist es zu verdanken, daß der Name unseres Landes nicht ausschließlich mit Schande und Ehrlosigkeit besudelt wurde.
Wir, die Überlebenden, haben vor 50 Jahren die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«, die VVN gegründet. Unterschiedlich in unseren politischen und weltanschaulichen Auffassungen, sowie in unserer sozialen Herkunft, waren wir gemeinsam im Widerstand und verfolgt. So haben wir auch gemeinsam die VVN gegründet, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Juden und Christen. Wir haben überlebt mit einem einzigen Gedanken: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Es galt das Vermächtnis der Millionen Toten der faschistischen Massenvernichtung zu bewahren, die die Befreiung am 8.Mai nicht erleben konnten.
Der Nazihölle entronnen, dem sogenannten »Tausendjährigen Reich«, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war, jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Diese entsetzliche Zeit hinter uns, träumten wir von einem künftigen Leben ohne Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus.
Wir wollten, daß unsere unmenschlichen Erfahrungen eine Warnung für die Nachwelt sein würden.
Wir träumten von einem Leben in sozialer Gerechtigkeit, in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.
Wir träumten, daß nun für alle Zeiten unsere Kinder und Kindeskinder sich der Sonne, der Blumen, der Liebe erfreuen können, ohne in Angst vor Faschismus und Krieg leben zu müssen. Nach der Befreiung war es für uns, die Überlebenden, unvorstellbar, daß fast nichts von unseren Visionen und Hoffnungen in Erfüllung gehen würde.
Unfaßbar für uns, wie reibungslos sich der Übergang vom Nazireich in die Bundesrepublik vollzog. Daß ehemalige hohe Nazifunktionäre entscheidende Positionen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Hochschulen, Medizin, im Geheimdienst und Militär einnahmen, und damit jahrzehntelang wesentlich das Klima der Politik und die prägenden Geburtsjahre dieser Republik bestimmten. Kriegsverbrecher, selten belangt und wenn, dann schonend behandelt, erhalten bis heute Opferrenten, während ganze Gruppen von Verfolgten des Naziregimes, u.a. ehemalige Zwangsarbeiter, immer noch ohne Entschädigung bleiben. Ganz zu schweigen von dem diskriminierenden Umgang mit Wehrmachtsdeserteuren die sich verweigerten, einem verbrecherischen Krieg zu dienen.
1945 war es für uns unvorstellbar, daß Ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. Und nun noch die ungeheure Massenarbeitslosigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich, die katastrophale Zerstörung der Umwelt. Immer mehr junge Menschen leben in Zukunftsängsten.
Wir hoffen auf Euch. Auf eine Jugend, die das alles nicht stillschweigend hinnehmen wird! Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpaßt, die ihm zu trotzen versteht, und deren Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist.
Wir setzen auf eine Jugend, höllisch wachsam gegen alles, das wieder zu einer ähnlich braunen Barbarei führen könnte; eine Jugend, die nicht wegsieht, wo Unrecht geschieht, wo Menschenrechte verletzt werden; eine Jugend, die sich in die Tradition des antifaschistischen Widerstandes zu stellen vermag, eine Jugend, die diese Tradition aufnimmt und auf ihre eigene Art und Weise weiterführt. Wir glauben, daß dafür Eure Herzen brennen können, daß Euer Gewissen nicht ruhen wird.
Laßt Euch nicht wegnehmen, was Ihr noch an demokratischen und sozialen Errungenschaften vorfindet. Laßt sie nicht weiter abbauen! Von keinem Regierenden sind sie Euch geschenkt worden:
Es sind vor allem die Errungenschaften des antifaschistischen Widerstandes, der Niederringung des Nazifaschismus. Verteidigt, was Ihr noch habt, verteidigt es mit Klauen und Zähnen!
Es verlangt nur etwas Zivilcourage, nicht einmal besonderen Mut. Ihr riskiert nicht das Leben, nichts was dem antifaschistischen Widerstand vergleichbar wäre. Und vergeßt nicht: Der Internationalismus und die Solidarität mit den Benachteiligten und Ausgegrenzten sind unentbehrlich in diesem Kampf. Knüpft dieses Band immer fester, macht es unzerreißbar!
Reiht Euch auch ein in die Kampfgemeinschaft VVN-Bund der Antifaschisten, der organisierte Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses an Widerstand und Verfolgung. Sie braucht Euch! In absehbarer Zeit wird es keine Zeitzeugen des schrecklichsten Abschnitts deutscher Geschichte mehr geben. Laßt das Vermächtnis des Widerstandes nicht in Vergessenheit versinken, den Schwur von Buchenwald:
»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!«
Übernehmt Ihr nun diesen immer noch zu erfüllenden Auftrag: ein gesichertes menschenwürdiges Leben im friedlichen Nebeneinander mit den Völkern der Welt! Sorgt dafür, daß aus der Bundesrepublik ein dauerhaftes, antifaschistisches, humanes, freiheitliches Gemeinwesen wird, in dem einem Wiederaufflammen des Nazismus, nationalem Größenwahn und rassistischen Vorurteilen keinen Raum mehr gegeben wird.
Wir vertrauen auf die Jugend, wir bauen auf die Jugend, auf Euch!
Esther Bejarano, 1924 geboren in Saarlois/ Saarland. 1940 flüchtet die Familie vor den Nazis nach Breslau, wo Esther 1941 in das Zwangsarbeiterlager Neuendorf gebracht wurde, während ihre Eltern nach Riga (Litauen) deportiert und dort in einem Wald von der SS erschossen wurden. Am 20. April 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und musste zunächst in einem Arbeitskommando Steine schleppen. Später hatte sie die Möglichkeit, wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten, im Mädchenorchester von Auschwitz zu spielen. Auf einem Todesmarsch konnte sie fliehen. Sie überlebte, ging nach Israel und kehrte 1960 mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Heute tritt sie als Zeitzeugin auf und gibt Konzerte mit jiddischen Liedern.
Peter Gingold, 1916 in Aschaffenburg geboren, wurde 1933 verhaftet und musste nach mehreren Monaten Gefängnis nach Frankreich emigrieren. Dort war er in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung aktiv. Er wurde 1943 verhaftet und gefoltert. Durch eine List entkam er den Nazis. Er schloß sich erneut der Résistance an und half bei der Befreiung von Paris. Später in Italien ging er zu den Partisanen, um weiter gegen den Faschismus zu kämpfen. Nach der Befreiung lebte er wieder in Frankfurt und war in der kommunistischen und antifaschistischen Bewegung aktiv. Als Zeitzeuge sprach er vor tausenden Schulklassen und Jugendgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen, wo er seine Erfahrungen auf sehr lebendige und eindringliche Art vermittelte. Peter Gingold starb am 29. Oktober 2006 in Frankfurt am Main.
Appell an die Jugend
14. März 1997
Nehmt es wahr, nehmt wenigstens ihr es wahr……was von Eueren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde: Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand.
Zumeist waren es einfache Frauen und Männer, vorwiegend aus der Arbeiterbewegung, in der Mehrzahl Jugendliche, die gegen Hitler und den Krieg kämpften. Nicht erst, als offenkundig wurde, daß Hitler den Krieg verliert, sondern von 1933 an! Den Krieg wollten sie verhindern, den jüdischen Menschen, den Völkern Europas und dem eigenen Volk das unermeßliche Leid ersparen, das der Nazifaschismus letztlich über sie brachte. Dafür riskierten sie alles, ihre Existenz, ihre Freiheit und ihr Leben, nahmen Konzentrationslager und Folter in Kauf. Vergeßt deshalb nie! Ihnen ist es zu verdanken, daß der Name unseres Landes nicht ausschließlich mit Schande und Ehrlosigkeit besudelt wurde.
Wir, die Überlebenden, haben vor 50 Jahren die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«, die VVN gegründet. Unterschiedlich in unseren politischen und weltanschaulichen Auffassungen, sowie in unserer sozialen Herkunft, waren wir gemeinsam im Widerstand und verfolgt. So haben wir auch gemeinsam die VVN gegründet, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Juden und Christen. Wir haben überlebt mit einem einzigen Gedanken: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Es galt das Vermächtnis der Millionen Toten der faschistischen Massenvernichtung zu bewahren, die die Befreiung am 8.Mai nicht erleben konnten.
Der Nazihölle entronnen, dem sogenannten »Tausendjährigen Reich«, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war, jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Diese entsetzliche Zeit hinter uns, träumten wir von einem künftigen Leben ohne Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus.
Wir wollten, daß unsere unmenschlichen Erfahrungen eine Warnung für die Nachwelt sein würden.
Wir träumten von einem Leben in sozialer Gerechtigkeit, in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.
Wir träumten, daß nun für alle Zeiten unsere Kinder und Kindeskinder sich der Sonne, der Blumen, der Liebe erfreuen können, ohne in Angst vor Faschismus und Krieg leben zu müssen. Nach der Befreiung war es für uns, die Überlebenden, unvorstellbar, daß fast nichts von unseren Visionen und Hoffnungen in Erfüllung gehen würde.
Unfaßbar für uns, wie reibungslos sich der Übergang vom Nazireich in die Bundesrepublik vollzog. Daß ehemalige hohe Nazifunktionäre entscheidende Positionen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Hochschulen, Medizin, im Geheimdienst und Militär einnahmen, und damit jahrzehntelang wesentlich das Klima der Politik und die prägenden Geburtsjahre dieser Republik bestimmten. Kriegsverbrecher, selten belangt und wenn, dann schonend behandelt, erhalten bis heute Opferrenten, während ganze Gruppen von Verfolgten des Naziregimes, u.a. ehemalige Zwangsarbeiter, immer noch ohne Entschädigung bleiben. Ganz zu schweigen von dem diskriminierenden Umgang mit Wehrmachtsdeserteuren die sich verweigerten, einem verbrecherischen Krieg zu dienen.
1945 war es für uns unvorstellbar, daß Ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. Und nun noch die ungeheure Massenarbeitslosigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich, die katastrophale Zerstörung der Umwelt. Immer mehr junge Menschen leben in Zukunftsängsten.
Wir hoffen auf Euch. Auf eine Jugend, die das alles nicht stillschweigend hinnehmen wird! Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpaßt, die ihm zu trotzen versteht, und deren Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist.
Wir setzen auf eine Jugend, höllisch wachsam gegen alles, das wieder zu einer ähnlich braunen Barbarei führen könnte; eine Jugend, die nicht wegsieht, wo Unrecht geschieht, wo Menschenrechte verletzt werden; eine Jugend, die sich in die Tradition des antifaschistischen Widerstandes zu stellen vermag, eine Jugend, die diese Tradition aufnimmt und auf ihre eigene Art und Weise weiterführt. Wir glauben, daß dafür Eure Herzen brennen können, daß Euer Gewissen nicht ruhen wird.
Laßt Euch nicht wegnehmen, was Ihr noch an demokratischen und sozialen Errungenschaften vorfindet. Laßt sie nicht weiter abbauen! Von keinem Regierenden sind sie Euch geschenkt worden:
Es sind vor allem die Errungenschaften des antifaschistischen Widerstandes, der Niederringung des Nazifaschismus. Verteidigt, was Ihr noch habt, verteidigt es mit Klauen und Zähnen!
Es verlangt nur etwas Zivilcourage, nicht einmal besonderen Mut. Ihr riskiert nicht das Leben, nichts was dem antifaschistischen Widerstand vergleichbar wäre. Und vergeßt nicht: Der Internationalismus und die Solidarität mit den Benachteiligten und Ausgegrenzten sind unentbehrlich in diesem Kampf. Knüpft dieses Band immer fester, macht es unzerreißbar!
Reiht Euch auch ein in die Kampfgemeinschaft VVN-Bund der Antifaschisten, der organisierte Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses an Widerstand und Verfolgung. Sie braucht Euch! In absehbarer Zeit wird es keine Zeitzeugen des schrecklichsten Abschnitts deutscher Geschichte mehr geben. Laßt das Vermächtnis des Widerstandes nicht in Vergessenheit versinken, den Schwur von Buchenwald:
»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!«
Übernehmt Ihr nun diesen immer noch zu erfüllenden Auftrag: ein gesichertes menschenwürdiges Leben im friedlichen Nebeneinander mit den Völkern der Welt! Sorgt dafür, daß aus der Bundesrepublik ein dauerhaftes, antifaschistisches, humanes, freiheitliches Gemeinwesen wird, in dem einem Wiederaufflammen des Nazismus, nationalem Größenwahn und rassistischen Vorurteilen keinen Raum mehr gegeben wird.
Wir vertrauen auf die Jugend, wir bauen auf die Jugend, auf Euch!
Esther Bejarano, 1924 geboren in Saarlois/ Saarland. 1940 flüchtet die Familie vor den Nazis nach Breslau, wo Esther 1941 in das Zwangsarbeiterlager Neuendorf gebracht wurde, während ihre Eltern nach Riga (Litauen) deportiert und dort in einem Wald von der SS erschossen wurden. Am 20. April 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und musste zunächst in einem Arbeitskommando Steine schleppen. Später hatte sie die Möglichkeit, wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten, im Mädchenorchester von Auschwitz zu spielen. Auf einem Todesmarsch konnte sie fliehen. Sie überlebte, ging nach Israel und kehrte 1960 mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Heute tritt sie als Zeitzeugin auf und gibt Konzerte mit jiddischen Liedern.
Peter Gingold, 1916 in Aschaffenburg geboren, wurde 1933 verhaftet und musste nach mehreren Monaten Gefängnis nach Frankreich emigrieren. Dort war er in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung aktiv. Er wurde 1943 verhaftet und gefoltert. Durch eine List entkam er den Nazis. Er schloß sich erneut der Résistance an und half bei der Befreiung von Paris. Später in Italien ging er zu den Partisanen, um weiter gegen den Faschismus zu kämpfen. Nach der Befreiung lebte er wieder in Frankfurt und war in der kommunistischen und antifaschistischen Bewegung aktiv. Als Zeitzeuge sprach er vor tausenden Schulklassen und Jugendgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen, wo er seine Erfahrungen auf sehr lebendige und eindringliche Art vermittelte. Peter Gingold starb am 29. Oktober 2006 in Frankfurt am Main.
Appell an die Jugend
14. März 1997
Nehmt es wahr, nehmt wenigstens ihr es wahr……was von Eueren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde: Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand.
Zumeist waren es einfache Frauen und Männer, vorwiegend aus der Arbeiterbewegung, in der Mehrzahl Jugendliche, die gegen Hitler und den Krieg kämpften. Nicht erst, als offenkundig wurde, daß Hitler den Krieg verliert, sondern von 1933 an! Den Krieg wollten sie verhindern, den jüdischen Menschen, den Völkern Europas und dem eigenen Volk das unermeßliche Leid ersparen, das der Nazifaschismus letztlich über sie brachte. Dafür riskierten sie alles, ihre Existenz, ihre Freiheit und ihr Leben, nahmen Konzentrationslager und Folter in Kauf. Vergeßt deshalb nie! Ihnen ist es zu verdanken, daß der Name unseres Landes nicht ausschließlich mit Schande und Ehrlosigkeit besudelt wurde.
Wir, die Überlebenden, haben vor 50 Jahren die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«, die VVN gegründet. Unterschiedlich in unseren politischen und weltanschaulichen Auffassungen, sowie in unserer sozialen Herkunft, waren wir gemeinsam im Widerstand und verfolgt. So haben wir auch gemeinsam die VVN gegründet, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Juden und Christen. Wir haben überlebt mit einem einzigen Gedanken: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Es galt das Vermächtnis der Millionen Toten der faschistischen Massenvernichtung zu bewahren, die die Befreiung am 8.Mai nicht erleben konnten.
Der Nazihölle entronnen, dem sogenannten »Tausendjährigen Reich«, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war, jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Diese entsetzliche Zeit hinter uns, träumten wir von einem künftigen Leben ohne Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus.
Wir wollten, daß unsere unmenschlichen Erfahrungen eine Warnung für die Nachwelt sein würden.
Wir träumten von einem Leben in sozialer Gerechtigkeit, in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.
Wir träumten, daß nun für alle Zeiten unsere Kinder und Kindeskinder sich der Sonne, der Blumen, der Liebe erfreuen können, ohne in Angst vor Faschismus und Krieg leben zu müssen. Nach der Befreiung war es für uns, die Überlebenden, unvorstellbar, daß fast nichts von unseren Visionen und Hoffnungen in Erfüllung gehen würde.
Unfaßbar für uns, wie reibungslos sich der Übergang vom Nazireich in die Bundesrepublik vollzog. Daß ehemalige hohe Nazifunktionäre entscheidende Positionen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Hochschulen, Medizin, im Geheimdienst und Militär einnahmen, und damit jahrzehntelang wesentlich das Klima der Politik und die prägenden Geburtsjahre dieser Republik bestimmten. Kriegsverbrecher, selten belangt und wenn, dann schonend behandelt, erhalten bis heute Opferrenten, während ganze Gruppen von Verfolgten des Naziregimes, u.a. ehemalige Zwangsarbeiter, immer noch ohne Entschädigung bleiben. Ganz zu schweigen von dem diskriminierenden Umgang mit Wehrmachtsdeserteuren die sich verweigerten, einem verbrecherischen Krieg zu dienen.
1945 war es für uns unvorstellbar, daß Ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. Und nun noch die ungeheure Massenarbeitslosigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich, die katastrophale Zerstörung der Umwelt. Immer mehr junge Menschen leben in Zukunftsängsten.
Wir hoffen auf Euch. Auf eine Jugend, die das alles nicht stillschweigend hinnehmen wird! Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpaßt, die ihm zu trotzen versteht, und deren Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist.
Wir setzen auf eine Jugend, höllisch wachsam gegen alles, das wieder zu einer ähnlich braunen Barbarei führen könnte; eine Jugend, die nicht wegsieht, wo Unrecht geschieht, wo Menschenrechte verletzt werden; eine Jugend, die sich in die Tradition des antifaschistischen Widerstandes zu stellen vermag, eine Jugend, die diese Tradition aufnimmt und auf ihre eigene Art und Weise weiterführt. Wir glauben, daß dafür Eure Herzen brennen können, daß Euer Gewissen nicht ruhen wird.
Laßt Euch nicht wegnehmen, was Ihr noch an demokratischen und sozialen Errungenschaften vorfindet. Laßt sie nicht weiter abbauen! Von keinem Regierenden sind sie Euch geschenkt worden:
Es sind vor allem die Errungenschaften des antifaschistischen Widerstandes, der Niederringung des Nazifaschismus. Verteidigt, was Ihr noch habt, verteidigt es mit Klauen und Zähnen!
Es verlangt nur etwas Zivilcourage, nicht einmal besonderen Mut. Ihr riskiert nicht das Leben, nichts was dem antifaschistischen Widerstand vergleichbar wäre. Und vergeßt nicht: Der Internationalismus und die Solidarität mit den Benachteiligten und Ausgegrenzten sind unentbehrlich in diesem Kampf. Knüpft dieses Band immer fester, macht es unzerreißbar!
Reiht Euch auch ein in die Kampfgemeinschaft VVN-Bund der Antifaschisten, der organisierte Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses an Widerstand und Verfolgung. Sie braucht Euch! In absehbarer Zeit wird es keine Zeitzeugen des schrecklichsten Abschnitts deutscher Geschichte mehr geben. Laßt das Vermächtnis des Widerstandes nicht in Vergessenheit versinken, den Schwur von Buchenwald:
»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!«
Übernehmt Ihr nun diesen immer noch zu erfüllenden Auftrag: ein gesichertes menschenwürdiges Leben im friedlichen Nebeneinander mit den Völkern der Welt! Sorgt dafür, daß aus der Bundesrepublik ein dauerhaftes, antifaschistisches, humanes, freiheitliches Gemeinwesen wird, in dem einem Wiederaufflammen des Nazismus, nationalem Größenwahn und rassistischen Vorurteilen keinen Raum mehr gegeben wird.
Wir vertrauen auf die Jugend, wir bauen auf die Jugend, auf Euch!
Esther Bejarano, 1924 geboren in Saarlois/ Saarland. 1940 flüchtet die Familie vor den Nazis nach Breslau, wo Esther 1941 in das Zwangsarbeiterlager Neuendorf gebracht wurde, während ihre Eltern nach Riga (Litauen) deportiert und dort in einem Wald von der SS erschossen wurden. Am 20. April 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und musste zunächst in einem Arbeitskommando Steine schleppen. Später hatte sie die Möglichkeit, wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten, im Mädchenorchester von Auschwitz zu spielen. Auf einem Todesmarsch konnte sie fliehen. Sie überlebte, ging nach Israel und kehrte 1960 mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Heute tritt sie als Zeitzeugin auf und gibt Konzerte mit jiddischen Liedern.
Peter Gingold, 1916 in Aschaffenburg geboren, wurde 1933 verhaftet und musste nach mehreren Monaten Gefängnis nach Frankreich emigrieren. Dort war er in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung aktiv. Er wurde 1943 verhaftet und gefoltert. Durch eine List entkam er den Nazis. Er schloß sich erneut der Résistance an und half bei der Befreiung von Paris. Später in Italien ging er zu den Partisanen, um weiter gegen den Faschismus zu kämpfen. Nach der Befreiung lebte er wieder in Frankfurt und war in der kommunistischen und antifaschistischen Bewegung aktiv. Als Zeitzeuge sprach er vor tausenden Schulklassen und Jugendgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen, wo er seine Erfahrungen auf sehr lebendige und eindringliche Art vermittelte. Peter Gingold starb am 29. Oktober 2006 in Frankfurt am Main.
Appell an die Jugend
14. März 1997
Nehmt es wahr, nehmt wenigstens ihr es wahr……was von Eueren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde: Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand.
Zumeist waren es einfache Frauen und Männer, vorwiegend aus der Arbeiterbewegung, in der Mehrzahl Jugendliche, die gegen Hitler und den Krieg kämpften. Nicht erst, als offenkundig wurde, daß Hitler den Krieg verliert, sondern von 1933 an! Den Krieg wollten sie verhindern, den jüdischen Menschen, den Völkern Europas und dem eigenen Volk das unermeßliche Leid ersparen, das der Nazifaschismus letztlich über sie brachte. Dafür riskierten sie alles, ihre Existenz, ihre Freiheit und ihr Leben, nahmen Konzentrationslager und Folter in Kauf. Vergeßt deshalb nie! Ihnen ist es zu verdanken, daß der Name unseres Landes nicht ausschließlich mit Schande und Ehrlosigkeit besudelt wurde.
Wir, die Überlebenden, haben vor 50 Jahren die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«, die VVN gegründet. Unterschiedlich in unseren politischen und weltanschaulichen Auffassungen, sowie in unserer sozialen Herkunft, waren wir gemeinsam im Widerstand und verfolgt. So haben wir auch gemeinsam die VVN gegründet, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Juden und Christen. Wir haben überlebt mit einem einzigen Gedanken: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Es galt das Vermächtnis der Millionen Toten der faschistischen Massenvernichtung zu bewahren, die die Befreiung am 8.Mai nicht erleben konnten.
Der Nazihölle entronnen, dem sogenannten »Tausendjährigen Reich«, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war, jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Diese entsetzliche Zeit hinter uns, träumten wir von einem künftigen Leben ohne Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus.
Wir wollten, daß unsere unmenschlichen Erfahrungen eine Warnung für die Nachwelt sein würden.
Wir träumten von einem Leben in sozialer Gerechtigkeit, in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.
Wir träumten, daß nun für alle Zeiten unsere Kinder und Kindeskinder sich der Sonne, der Blumen, der Liebe erfreuen können, ohne in Angst vor Faschismus und Krieg leben zu müssen. Nach der Befreiung war es für uns, die Überlebenden, unvorstellbar, daß fast nichts von unseren Visionen und Hoffnungen in Erfüllung gehen würde.
Unfaßbar für uns, wie reibungslos sich der Übergang vom Nazireich in die Bundesrepublik vollzog. Daß ehemalige hohe Nazifunktionäre entscheidende Positionen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Hochschulen, Medizin, im Geheimdienst und Militär einnahmen, und damit jahrzehntelang wesentlich das Klima der Politik und die prägenden Geburtsjahre dieser Republik bestimmten. Kriegsverbrecher, selten belangt und wenn, dann schonend behandelt, erhalten bis heute Opferrenten, während ganze Gruppen von Verfolgten des Naziregimes, u.a. ehemalige Zwangsarbeiter, immer noch ohne Entschädigung bleiben. Ganz zu schweigen von dem diskriminierenden Umgang mit Wehrmachtsdeserteuren die sich verweigerten, einem verbrecherischen Krieg zu dienen.
1945 war es für uns unvorstellbar, daß Ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. Und nun noch die ungeheure Massenarbeitslosigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich, die katastrophale Zerstörung der Umwelt. Immer mehr junge Menschen leben in Zukunftsängsten.
Wir hoffen auf Euch. Auf eine Jugend, die das alles nicht stillschweigend hinnehmen wird! Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpaßt, die ihm zu trotzen versteht, und deren Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist.
Wir setzen auf eine Jugend, höllisch wachsam gegen alles, das wieder zu einer ähnlich braunen Barbarei führen könnte; eine Jugend, die nicht wegsieht, wo Unrecht geschieht, wo Menschenrechte verletzt werden; eine Jugend, die sich in die Tradition des antifaschistischen Widerstandes zu stellen vermag, eine Jugend, die diese Tradition aufnimmt und auf ihre eigene Art und Weise weiterführt. Wir glauben, daß dafür Eure Herzen brennen können, daß Euer Gewissen nicht ruhen wird.
Laßt Euch nicht wegnehmen, was Ihr noch an demokratischen und sozialen Errungenschaften vorfindet. Laßt sie nicht weiter abbauen! Von keinem Regierenden sind sie Euch geschenkt worden:
Es sind vor allem die Errungenschaften des antifaschistischen Widerstandes, der Niederringung des Nazifaschismus. Verteidigt, was Ihr noch habt, verteidigt es mit Klauen und Zähnen!
Es verlangt nur etwas Zivilcourage, nicht einmal besonderen Mut. Ihr riskiert nicht das Leben, nichts was dem antifaschistischen Widerstand vergleichbar wäre. Und vergeßt nicht: Der Internationalismus und die Solidarität mit den Benachteiligten und Ausgegrenzten sind unentbehrlich in diesem Kampf. Knüpft dieses Band immer fester, macht es unzerreißbar!
Reiht Euch auch ein in die Kampfgemeinschaft VVN-Bund der Antifaschisten, der organisierte Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses an Widerstand und Verfolgung. Sie braucht Euch! In absehbarer Zeit wird es keine Zeitzeugen des schrecklichsten Abschnitts deutscher Geschichte mehr geben. Laßt das Vermächtnis des Widerstandes nicht in Vergessenheit versinken, den Schwur von Buchenwald:
»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!«
Übernehmt Ihr nun diesen immer noch zu erfüllenden Auftrag: ein gesichertes menschenwürdiges Leben im friedlichen Nebeneinander mit den Völkern der Welt! Sorgt dafür, daß aus der Bundesrepublik ein dauerhaftes, antifaschistisches, humanes, freiheitliches Gemeinwesen wird, in dem einem Wiederaufflammen des Nazismus, nationalem Größenwahn und rassistischen Vorurteilen keinen Raum mehr gegeben wird.
Wir vertrauen auf die Jugend, wir bauen auf die Jugend, auf Euch!
Esther Bejarano, 1924 geboren in Saarlois/ Saarland. 1940 flüchtet die Familie vor den Nazis nach Breslau, wo Esther 1941 in das Zwangsarbeiterlager Neuendorf gebracht wurde, während ihre Eltern nach Riga (Litauen) deportiert und dort in einem Wald von der SS erschossen wurden. Am 20. April 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und musste zunächst in einem Arbeitskommando Steine schleppen. Später hatte sie die Möglichkeit, wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten, im Mädchenorchester von Auschwitz zu spielen. Auf einem Todesmarsch konnte sie fliehen. Sie überlebte, ging nach Israel und kehrte 1960 mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Heute tritt sie als Zeitzeugin auf und gibt Konzerte mit jiddischen Liedern.
Peter Gingold, 1916 in Aschaffenburg geboren, wurde 1933 verhaftet und musste nach mehreren Monaten Gefängnis nach Frankreich emigrieren. Dort war er in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung aktiv. Er wurde 1943 verhaftet und gefoltert. Durch eine List entkam er den Nazis. Er schloß sich erneut der Résistance an und half bei der Befreiung von Paris. Später in Italien ging er zu den Partisanen, um weiter gegen den Faschismus zu kämpfen. Nach der Befreiung lebte er wieder in Frankfurt und war in der kommunistischen und antifaschistischen Bewegung aktiv. Als Zeitzeuge sprach er vor tausenden Schulklassen und Jugendgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen, wo er seine Erfahrungen auf sehr lebendige und eindringliche Art vermittelte. Peter Gingold starb am 29. Oktober 2006 in Frankfurt am Main.