Dr. Ulrich Schneider
Fangen wir mit den wenigen erfreulichen Ergebnissen der Thüringer Landtagswahl an.
Höcke hatte als Wahlziel formuliert, die AfD wolle 33 + X Prozent der Stimmen erhalten. Das hat sie mit 32,8% nicht geschafft. Außerdem gelang es Höcke in seinem Wahlkreis nicht, ein Direktmandat für den Landtag zu erringen. Damit sind jedoch die positiven Aspekte der Wahl schon erschöpft. Ob man es für positiv oder bedauerlich hält, dass weder die FDP (1,1%), noch die GRÜNEN (3,2%) im Landtag vertreten sind, hat mit politischen Präferenzen zu tun. Es ist für die bundesdeutsche Parteienlandschaft jedoch eine bemerkenswerte Tatsache.
Wenn man die anderen Parteien betrachtet, dann ist erschreckend, wie die LINKE; die Partei des durchaus anerkannten Ministerpräsidenten Bodo Rameloh, mit 18% Verlust vollkommen eingebrochen ist. Analysten meinen, dass– wenn sie nicht einen auf den MP konzentrierten Personenwahlkampf geführt hätte – die Verluste noch höher ausgefallen wären. Ein deutliches Signal ihrer politischen Schwäche ist die geringe Zahl von Direktmandaten, die sie tatsächlich nur in den wenigen Großstädten erringen konnte. Auf dem Land und in den Kleinstädten hat sie massiv verloren. Viele Stimmen der LINKEN konnte sicherlich das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) gewinnen, aber über die Hälfte der verlorenen Stimmen gingen an Nichtwähler, an die CDU, die SPD und selbst an die AfD. Wenn man sich die Wählerzusammensetzung anschaut, dann ist die LINKE nicht mehr die Partei der ehemaligen DDR Bürger, denn in der Altersgruppe ab 40 Jahren und bei Wählern, die seit über 20 Jahren in der Region leben, hat sie überdurchschnittlich verloren. Jungwähler, akademisch Gebildete und Zugezogene haben sie unterstützt. Ob das in Zukunft reichen wird, ist fraglich.
Die Koalitionspartei SPD, die sich von den Problemen der LINKEN Stimmen versprochen hatte, hat mit gerade einmal 6,1% knapp den Wiedereinzug in den Landtag geschafft. Es ist – nicht nur in Thüringen – eine Partei ohne Tradition, ohne regionale Verankerung und ohne Macht, von der sich Unterstützer mögliche berufliche oder gesellschaftliche Positionen versprechen könnten. Also gerät sie in den Sog des verhängnisvollen Bildes, was die Ampel-Koalition in Berlin abgibt – eine Tendenz, die die GRÜNEN und die FDP ebenfalls erlebten. Da die SPD für Thüringen nichts anzubieten hatte und in Berlin ein desaströses Image liefert, schrumpfte sie auf ihre „Kernanhängerschaft“ in den Städten zusammen. Sichtbares Zeichen dafür ist, dass sie kein Direktmandat erzielen konnte.
Die CDU als bisherige tolerierende „Opposition“ hatte gehofft, aus den Problemen in Berlin und bei der Minderheits-Regierung in Erfurt Profit ziehen zu können. Auch nahm man in den vergangenen Wochen propagandistisch verstärkt Themen der AfD auf. Tatsächlich wanderten einige Stimmen der Koalitionsparteien zur CDU, so dass sie knapp 2% gewann. Aber die politische Farblosigkeit des politischen Personals der Partei führte mit dazu, dass Wähler bei der Entscheidung für rechte Themen dann doch das „Original“ wählten, und nicht die blasse Kopie. Obwohl die CDU mit 23,6% eine relative Einflussgröße darstellt, erreichte sie nur im katholischen Eichsfeld und im Südosten mehrere Direktmandate.
Auffällig ist das Wahlergebnis für das BSW, die mit knapp 16% aus dem Stand die drittstärkste Kraft im Thüringer Landtag wurde. Trotz medialer Kampagnen, die die BSW entweder in Richtung AfD, als „Stasi“ Partei oder einfach nur als „Populisten“ meinten denunzieren zu können, wurde diese Partei von einem interessanten Wählerklientel unterstützt. Überdurchschnittlich gewann sie bei der Altersgruppe ab 50 Jahren und denjenigen, die seit mehr als 20 Jahren in der Region leben. Das BSW bot sich damit als ostdeutsche Protestpartei an, der zugetraut wurde, sich für die Belange und Vorstellungen dieser Menschen zu interessieren. Das BSW verhinderte damit einen weiteren Zulauf von Menschen zur AfD, die mit ihren Themen versuchte, ebenfalls dieses Image auszubauen. Die Glaubwürdigkeit des BSW hing auch mit Personen zusammen, wie der Spitzenkandidatin, die Eisenacher Oberbürgermeisterin Wolf, die auch landespolitische Popularität besaß. Dass das BSW auch eine klare Abgrenzung zur Ampel-Koalition auf Bundesebene gezeigt hat, hat sicherlich zu ihrem positiven Image in Thüringen beigetragen.
Unbestrittene Gewinnerin der Landtagswahlen ist die AfD, die mit knapp 33% und dem Gewinn der absoluten Mehrheit der Direktmandate – trotz erkennbar neofaschistischer Ausrichtung vieler ihrer Kandidatinnen – einen deutlichen Erfolg verbuchen konnte. Während auf der einen Seite die gesellschaftlichen Kräfte vor der inhaltlichen Ausrichtung dieser Partei warnten (vgl. Brief des Gedenkstättenleiters Wagner zur AfD), was bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte, gleichzeitig auch ein Anstieg der Wahlbeteiligung um etwa 10% einen politischen Mobilisierungsgrad zeigte, haben alle diese „Aufklärungs-Aktionen“ nicht dazu beigetragen, die Wähler von der Wahl dieser Partei abzuhalten. Drei Bereiche der Wähleranalyse müssen zu denken geben. Die AfD ist bei dem Wählerinnen bis 30 Jahren die mit großen Abstand erfolgreichste Partei. In Regionen, die durch Abwanderung und Strukturwandel in Thüringen am meisten betroffen sind, sind die Wahlergebnisse für die Partei am höchsten und bei der sozialen Zusammensetzung haben fast 50% derjenigen, die zur Gruppe der Arbeiter gerechnet werden, die AfD gewählt.
Der Partei ist es gelungen, Themen für sich auszunutzen, die auch die Medien in den vergangenen Monaten mit spektakulären Berichten in den Vordergrund schoben. Zum einen ist es die Kritik an dem Zustand der Ampel-Koalition, von der auch die AfD profitierte. Zweitens sind es die Kernthemen der extremen Rechten, Angst vor Flüchtlingen und Zuwanderung sowie „Sicherheit“ und Kriminalitätsangst. Selbst wenn die objektiven Zahlen der Migration und der Kriminalität in Thüringen eine andere Sprache sprechen, trugen die bundesweiten medialen Kampagnen („Messermord in Solingen“) dazu bei, diesem Thema Nahrung zu geben. Und wenn die Bundesregierung nun auf „Law and Order“ macht, trifft dasselbe zu, wie bei der CDU. Man wählt das Original und nicht die Kopie.
Kurz formuliert, die AfD ist in Thüringen erkennbar keine „Protest-Partei“ mehr, was Antifaschisten auch früher schon betont hatten. Sie profitiert von der gesellschaftlichen Diskursverschiebung, bei der „Fremde“ und insbesondere muslimische junge Männer als „Bedrohung“ wahrgenommen werden. Die ideologische Langzeitwirkung der PEGIDA-Hetze ist in den Medien und den Köpfen der Wähler*innen angekommen.
Was ist dagegen zu tun? Notwendig scheint es, nicht nur in Thüringen, sondern bundesweit eine neue Strategie gegen den Vormarsch der AfD zu entwickeln. Die formulierte Tatsache „Höcke ist ein Nazi“ hat erkennbar ein Drittel der thüringischen Wähler nicht aufklären können. Metropolen- und szeneorientierte Argumentationen sollten weniger im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Gegenbewegung stehen (nicht nur die Thüringer AfD-Wähler interessiert es nicht, wie die Partei zum Thema LGBTQ steht, und die, die sich dafür interessieren, wählen nicht AfD). Stattdessen müssten Anstrengungen unternommen werden, eine Diskursverschiebung zu den realen Problemen der Menschen (Bildung und Versorgung der Kinder, Gesundheit und soziale Sicherheit, öffentliche Versorgung und ÖPNV, Arbeitsplätze und gerechte Wirtschaft etc.) zu erreichen.
Dazu müssten nicht parteigebundene gesellschaftliche Kräfte (Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und Kulturorganisationen, antifaschistische und migrantische Verbände etc.) gemeinsam Strategien zu Verbesserung der Lebensverhältnisse entwickeln. Diesen Vorschlag unterbreitete interessanterweise auch Thüringens Staatsminister Benjamin Hoff (LINKE), jedoch erst nach der Wahlniederlage – warum nicht vorher? Diesmal sollten wir keine Zeit verlieren.
Dr. Ulrich Schneider, Kassel