Schuldig im Sinne der Anklage

geschrieben von Thomas Repp

13. März 2011

Fast 40 Jahre wurde der Bürgerrechtler Rolf Gössner geheimdienstlich beobachtet. Mit einem Urteil, das dem Bundesamt für Verfassungsschutz wie eine schallende Ohrfeige vorkommen muss, hat das Verwaltungsgericht Köln dem Spuk nun ein Ende gemacht.

Die fast 40jährige geheimdienstliche Beobachtung des Bürgerrechtlers Rolf Gössner ist zu Ende. Das Verwaltungsgericht Köln hat Anfang Februar sein Urteil in dem Verfahren Dr. Gössner ./. Bundesrepublik Deutschland verkündet, in dem es um die fast 40jährige geheimdienstliche Beobachtung des Bürgerrechtlers Rolf Gössner geht. Mit dem Urteil endet auch Gössners Odyssee durch die Instanzen. Doch für den Bürgerrechtler haben sich all die Mühen gelohnt. Seiner Klage wurde recht gegeben. Der Richterspruch muss dem Verfassungsschutz wie eine schallende Ohrfeige erscheinen: „Es wird festgestellt, dass die Beobachtung des Klägers bis zum 13.11.2008 einschließlich der während dieses Zeitraumes erfolgten Erhebung und -Speicherung von Daten zu seiner Person rechtswidrig gewesen ist. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.“ Dazu der Kläger Rolf Gössner: „Dieser mühsame Kampf war notwendig, um wenigstens zu versuchen, ein wenig Licht ins Dunkel geheimdienstlicher Machenschaften zu bringen und solch ausufernde Geheimdiensttätigkeit künftig zu bändigen.“

Rolf Gössner stand seit 1970 ununterbrochen unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) – schon als Jurastudent, später als Gerichtsreferendar und seitdem ein Arbeitsleben lang in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen als Publizist, Rechtsanwalt und parlamentarischer Berater, später auch als Präsident und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und als Mitherausgeber des alljährlich erscheinenden Grundrechte-Reports. Auch als Gössner seit 2007 als gewähltes (parteiloses) Mitglied der Innendeputation der Bremer Bürgerschaft aktiv war, wurde er beobachtet und sogar noch als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen. Erst am 13.11.2008, unmittelbar vor der 1. mündlichen Verhandlung, wurde die Beobachtung überraschend und mit erstaunlicher Begründung eingestellt. Es dürfte die längste Dauerbeobachtung einer unabhängigen Einzelperson durch den Geheimdienst sein, die bislang dokumentiert werden konnte – ohne dass diese jemals selbst als „Extremist“ oder „Verfassungsfeind“ eingestuft wurde.

Ins Visier des Verfassungsschutzes rückte Gössner durch berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich „linksextremistischen“ und „linksextremistisch beeinflussten“ Gruppen und Veranstaltern – wie etwa DKP, Rote Hilfe oder die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), aber auch zu Presseorganen wie Demokratie und Recht, Blätter für deutsche und internationale Politik, Geheim oder Neues Deutschland, in denen er – neben vielen anderen Medien – veröffentlichte, denen er Interviews gab oder in denen über seine Aktivitäten berichtet wurde. Mit seinen Kontakten, publizistischen Beiträgen, Vorträgen und Diskussionen habe er diese Gruppen und Organe „nachhaltig unterstützt“, so der Vorwurf des Verfassungsschutzes an den parteilosen Bürgerrechtler. „Hier wurde aus vollkommen legalen und legitimen Berufskontakten eine verfassungswidrige ‚Kontaktschuld’ Gössners konstruiert“, so die Internationale Liga für Menschenrechte, „die schließlich als waghalsige Begründung für seine jahrzehntelange geheimdienstliche Beobachtung herhalten muss. Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang.“

Der Verfassungsschutz begnügte sich jedoch nicht allein mit den Kontakten Gössners, sondern machte sich inzwischen auch an die Interpretation seiner öffentlichen Äußerungen. Diese subjektiven und ideologisch gesättigten Textinterpretationen „führen uns in die tiefsten 1960er und 70er Jahre des Kalten Krieges“, so Gössners Anwalt Udo Kauß. „Da wird schon zum „Verfassungsfeind“, wer das KPD-Verbotsurteil kritisiert oder den Begriff „Berufsverbote“ verwendet, die es in der Bundesrepublik angeblich nie gegeben habe. Da diffamiert die Bundesrepublik und ihre Staatsorgane, wer – wie der Geheimdienstkritiker Gössner – den Verfassungsschutz in Frage stellt und wird mit Verfassungsschutzbeobachtung nicht unter vier Jahrzehnten bestraft.“

Das Gericht war in diesem Verfahren vor die schwierige Aufgabe gestellt, trotz der vom BfV aus Geheimhaltungsgründen nur unvollständig vorgelegten 2.000seitigen Personenakte eine Entscheidung treffen zu müssen. Außerdem prallten in dem Verfahren „zwei Denkwelten“ aufeinander, wie der Vorsitzende Richter feststellte. Das Gericht problematisierte dabei auch, dass durch die einseitige Auswahl des erfassten Materials durch die Beklagte „zwangsläufig ein falsches Bild“ vom Kläger und von dessen beruflichen und rechtspolitischen Aktivitäten entstehen müsse. Schon deshalb habe Rolf Gössner ein berechtigtes „Rehabilitierungsinteresse“, dem das heutige Urteil in vollem Umfang entspricht. Rolf Gössner drückte bereits vor Gericht „sein Bedauern darüber aus, dass durch diese unsinnige, geradezu absurde Überwachungsgeschichte so viel Lebenszeit und -kraft vergeudet wurde und dass zwei Gerichte – das Verwaltungsgericht Köln und das Bundesverwaltungsgericht – mit aufwändigen Verfahren belästigt werden“ mussten.

Diese Überwachungsgeschichte und das Gerichtsverfahren zeigen in aller Deutlichkeit, so die Internationale Liga für Menschenrechte „welche Gefahren für Persönlichkeitsrechte, für Informationelle Selbstbestimmung, Meinungs- und Pressefreiheit, Mandatsgeheimnis und Informantenschutz mit Geheimdiensten und ihren klandestinen Aktivitäten verbunden sind.“ Dieses Urteil habe über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, denn es gehe um ein brisantes Problem, das auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler betrifft: Welche Grenzen sind den kaum kontrollierbaren Nachrichtendiensten und ihren geheimen Aktivitäten gezogen – gerade im Umgang mit Berufsgeheimnisträgern und im Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen? Zudem werde in aller Deutlichkeit aufgezeigt,

Ohne die Klage gegen den Verfassungsschutz, so ist sich die Internationale Liga für Menschenrechte sicher, wäre ein Ausstieg aus dieser Überwachungsgeschichte wohl kaum erfolgt, so dass Rolf Gössner womöglich weiterhin, bis ins hohe Rentenalter, unter Beobachtung stünde. Und Gössner weiß „dass mit mir gewissermaßen eine ganze Generation von engagierten Menschen mitklagte, die sich seit den späten 60er Jahren in unterschiedlichen Aktivitäten und Berufen linkspolitisch betätigten oder weiterbetätigen, und dabei möglicherweise ebenfalls mehr oder weniger lang ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind. Vielleicht habe ich deshalb so viel Zuspruch und Solidarität empfangen, für die ich mich herzlich bedanken möchte, weil ich mich in gewisser Weise auch stellvertretend zur Wehr gesetzt und geklagt habe.“