Tostedter wehren sich gegen Nazis

geschrieben von Thomas Repp

27. März 2011

Etwa 600 Demonstranten haben am vergangenen Samstag in Tostedt des von Neonazis getöteten Kapitäns Gustaf Schneeclaus gedacht. Die Demonstration war auch ein Signal, dass drangsalierte Jugendliche im Kampf gegen den Nazi-Terror dringend benötigte Unterstützung erhalten.

Das schien Tostedt so noch nicht erlebt zu haben: Etwa 600 Demonstranten zogen am Samstag durch die kleine Stadt, um gegen Nazis zu demonstrieren. Bürger standen in den kleinen Vorgärten oder auf Dachterrassen und schauten fassungslos auf die Demonstranten. Die wiederum verteilten Infomaterial und versuchten mit den Einwohnern ins Gespräch zu kommen.

Der Anlass dieser Demonstration war eher traurig. Denn Nazis werden von der Dorfgemeinschaft in der niedersächsischen Gemeinde akzeptiert und sind ins öffentliche Leben voll integriert. Leidtragende sind alternative Jugendliche oder solche, die nicht in das Weltbild der Nazis passen. Sie werden bedroht, gejagt und verprügelt. Viele Tostedter Jugendliche gehen seit langem nur noch mit Angst auf die Straße. Denn die Naziszene ist brutal und extrem aggressiv. So waren Tostedter Neonazis an einem Angriff auf ein Jugendzentrum in Delmenhorst maßgeblich beteiligt. Auch die örtliche Polizeistation wurde mit Steinen angegriffen. Selbst zuhause werden junge Menschen überfallen. So wurde ein Mehrfamilienhaus in Wistedt mehrmals von Neonazis angegriffen und beschädigt.

Offenbar arbeitet die Tostedter Neonaziszene auf eine „National befreite Zone“ hin. Brutale Gewalt gilt als akzeptiertes „politisches Mittel“, um dieses Ziel zu verfolgen. Dabei werden schwere Verletzungen der politischen Gegner billigend in Kauf genommen. Ein verurteilter Totschläger, Stefan Silar, spielt heute eine führende Rolle in der Kameradschaftsszene um Tostedt, Wistedt und Umgebung. Am 18. März 1992 haben er und ein „Kamerad“, der damals 25-jährige Stephan Kronbügel, den Kapitän Gustav Schneeclaus in Buxtehude zusammengeschlagen und tot geschlagen. Der Kapitän hatte Silar und und den zweiten Neonazi getroffen. Sie kamen ins Gespräch, Schneeclaus erzählte seine Seefahrergeschichten und alle tranken dabei. Gustav Schneeclaus war am 12. November 1938 geboren worden und hatte als kleines Kind den Krieg und die Hochphase des Nationalsozialismus bedingt miterlebt. Nachdem er 30 Jahre als Kümo-Kapitän zur See gefahren war, ließ er sich in Buxtehude nieder, um ein neues Leben zu beginnen. Irgendwann im Verlauf der Unterhaltung sagte Schneeclaus: „Hitler war der größte Verbrecher.“. Das reichte den beiden Totschlägern. Sie schlugen auf den Kapitän ein, bis er von der Bank fiel, auf der er vorher gesessen hatte. Daraufhin verschwanden die Neonazis vom Busbahnhof mit dem Auto. Etwa eine Dreiviertelstunde später kamen sie wieder, bewaffnet mit einem Kantholz, um ihre Gräueltat zu vollenden. Mit dem Kantholz und ihren Springerstiefeln schlugen und traten sie auf ihr wehrloses Opfer ein. Schneeclaus starb drei Tage später an den Folgen seiner schweren Verletzungen. Ein Gedenkstein am Buxtehuder Busbahnhof erinnert noch an das Opfer, die Täter hingegen kamen mit sechs beziehungsweise achteinhalb Jahren Gefängnis davon. Den beiden blieb damit eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes aus niederen Beweggründen erspart.

Stephan Silar hat heute ein Geschäft in Tostedt. Der Streetwear-Shop Tostedt hat sich zum Anlaufpunkt für die gesamte Szene entwickelt. Dort verkauft er von Rechtsrock CDs, über Waffen wie Quarzsandhandschuhe und Pfefferspray alles, darunter auch die Nazimarken „Thor Steinar” und „Eric&Sons”. Die Demonstranten konnten hier eine Zwischenkundgebung abhalten und die Geschichte des Gustaf Schneeclaus über den Lautsprecher erzählen. Da konnte kein Nachbar weghören. Peinlich: Silars Geschäft wird aus Angst vor Antifa-Angriffen rund um die Uhr von der Polizei bewacht. Während der Demonstration waren hier, ebenso wie vor dem Rathaus, besonders viele Beamte präsent.

Dass so viele Demonstranten einen Tag nach Gustav Schneeclaus‘ Todestag den Weg nach Tostedt gefunden hatten, war ein wichtiges Signal. Denn so konnte das Gedenken an den Kapitän wach gehalten werden. „Kein Vergessen, kein Vergeben“ war das Motto der Demonstration und erinnerte stark an den Schwur von Buchenwald. Stephan Silar wurde nicht resozialisiert. Er war unmittelbar nach der Entlassung aggressiv, bedrohte unter anderem einen Journalisten. Der Tod des Kapitäns wird nicht vergessen. Das hilft die Gefahren durch Neonazis besser zu erkennen. Andererseits profitieren auch die Lebenden. Die jungen Menschen aus Tostedt, die beständig drangsaliert werden, waren mit der gezeigten Solidarität und Unterstützung zufrieden. Das war wichtig. Nicht sie, sondern die Nazis sind die „Bösen“. Allerdings scheint das die Polizei vor Ort anders zu sehen. Es kamen wiederholt Klagen über die Beurteilung rechter Gewalt.

Diese wird von der Polizei oft als einer unpolitischer Bandenrivalität oder Streit „um ein Mädchen“ dargestellt. Doch die Angreifer stammen aus den neonazistischen Gruppierungen „Gladiator Germania“ und „Nationaler Widerstand Tostedt“ und zeigen das auch offen. Umso seltsamer mutet es an, dass die Polizei die vorgesehene Demoroute völlig änderte. Der Zug führte fast ausschließlich durch kleine Straßen in Wohngebieten und die Innenstadt wurde gänzlich gemieden. Neonazis hingegen wurden schon Routen genehmigt, die durch Hauptstraßen führten. Zweierlei Maß?

Die Demonstration war ein erster Schritt, um die Problematik öffentlich zu machen. Bleibt zu hoffen, dass es bald seitens der Bürgerschaft heißt: Tostedt mischt sich ein! Der Anfang ist gemacht. Insgesamt verlief die Demonstration ruhig – und: Es sind nicht nur Antifas mitgegangen, sondern auch Tostedter und Menschen aus dem ganzen Landkreis.