Unter dem Titel: „Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der Schleswig-Holsteinischen Legislative und Exekutive“ leitete Prof. Dr. Uwe Danker eine Untersuchung der Uni Flensburg im Auftrag des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Er konnte für einen Vortrag im Museum Tuch + Technik gewonnen werden. Vortrag: Prof. Uwe Danker, Europa Uni Flensburg Wann: Freitag, 25. November 2016 um 19:00 Uhr Wo: Museum Tuch + Technik, Kleinflecken 1 Die Forscher Prof. Dr. Uwe Danker, Dr. Sebastian Lehmann-Himmel und Dr. Stephan Glienke vom Institut für Zeit- und Regionalgeschichte der Universität Flensburg (IZRG) sind Historiker, keine Richter. Sie verfolgten ein streng wissenschaftliches Konzept. Dazu gehört nicht nur eine Faktensammlung, sondern auch eine Bewertung, aber keine entlarvende Aufarbeitung. Die Forscher um Projektleiter Danker haben neben den formalen Zugehörigkeiten der Politiker zu NS-Parteien und Organisationen auch deren reale Rolle in dieser Zeit durchleuchtet. Im Landtag erreichten (ehemalige) Nazis zeitweilig sogar die Mehrheit. In S-H waren es deutlich mehr als in anderen Bundesländern. Es hat besonders ausgeprägte personelle Kontinuitäten gegeben, „auch eine gewisse strukturelle Selbstverständlichkeit, mit der ehemalige Nationalsozialisten die Landespolitik dominierten, in der Exekutive deutlicher noch als in der Legislative“. Auch die Verteilung auf die Parteien ist sehr interessant. Zwei Fälle belasteter Nazis sind besonders erwähnenswert:
Der Fall Reinefarth
Einer der schlimmen Fälle ist Heinz Reinefarth. Bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes 1944 wurde der SS-Mann zum „Henker von Warschau“, wie er in Polen genannt wird. Die SS-Einheiten waren von äußerster Brutalität und Verrohung geprägt. Immer wieder kam es neben den Massenmorden (bei denen über 100.000 polnische Aufständische und Zivilisten getötet wurden) auch zu Massenvergewaltigungen und anderen Exzessen. 1958 zog er in den Landtag ein. 2014 bedauerte es der Landtag, „dass es nach 1945 in Schleswig-Holstein möglich werden konnte, dass ein Kriegsverbrecher Landtagsabgeordneter wird“.
Der Fall Heyde-Sawade
Dieser Fall ist symptomatisch für den Umgang mit Naziverbrechern in der Bundesrepublik. Prof. Heyde leitete vor 1945 das Euthanasieprogramm der Nazis, bei dem etwa 80 000 Behinderte ermordet wurden, darunter auch Kriegsversehrte. Nach seiner Internierung in Neumünster-Gadeland gelang ihm auf einem Gefangenentransport die Flucht. Später arbeitete er unter dem falschen Namen Sawade als Gerichtsgutachter in Flensburg, obwohl er immer noch gesucht wurde. In der so genannten besseren Gesellschaft, inklusive des leitenden Oberstaatsanwalts, war das weithin bekannt. Die Enttarnung des Prof. Heyde gleicht einer Realsatire. Ein Kieler Professor ärgerte sich über Korpsstudenten, die jede Nacht neben seinem Haus lärmende Saufgelage veranstalteten und randalierten. Schließlich zog der Kieler Professor vor Gericht, ergebnislos. Die Korpsstudenten zerschossen dann mit Luftgewehren die Fensterscheiben an seinem Haus. Der so seelisch waidwund geschossene Professor verkündete öffentlich in seiner Vorlesung, dass etwas mit der Justiz nicht stimmen könne, schließlich arbeite der gesuchte Professor Heyde unter dem Namen Sawade als Gerichtsgutachter in Flensburg. Nun musste die Justiz einschreiten. Prof Heyde, alias Sawade wurde endlich verhaftet und stürzte sich unter nicht ganz geklärten Umständen im Gefängnis aus dem Fenster.
Nazis in Parlament und Regierung – nach 1945