17. April 2013
Am 23.Januar 2013 fand anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz im Landeshaus in Kiel eine Veranstaltung zum Thema „Erinnerungsort Kiel“ statt. Es war die erste öffentliche Veranstaltung der im letzten Jahr im April gegründeten Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein (LAGSH). In einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein sollte der Fokus auf den Umgang der Stadt Kiel mit dem historischen Erbe der Militär- und NS-Geschichte im 20. Jahrhundert gerichtet werden. Nach der Begrüßung der etwa 90 interessierten Gäste kündigte Uta Körby, Sprecherrat der LAGSH, das erste Impulsreferat an.
Prof. Dr. Peter Reichel (ehemals Universität Hamburg mit dem Teilbereich „Politische Theorien und Ideengeschichte“) hielt ein etwa. 30 Minuten langes Referat zum Thema „KIEL UND DER OSTSEERAUM – VERGESSENE ERINNERUNGSORTE?“. Nach einem wortgewaltigen Feuerwerk von Visionen, in dem herkömmliche Erinnerungsorte zu kurz greifen und die dokumentarische Aufarbeitung zu beschränkt ist, entstand vor unseren Augen in der Küstenstadt Kiel ein gigantisches europäisches Museum Baltikum aus Glas und Beton inmitten der Förde. Scharen von europäischen Besuchern, die sich nicht in ein kleines Heimatmuseen locken lassen, würden eine Attraktion in Kiel finden. Beschämt musste ich an so manche gute Ausstellung denken, die ich mit betreut hatte und an die geführten Strichlisten der Besucherzahlen, in denen am Abend manchmal nur wenige Striche zu sehen waren.
Auf dem Podium (Foto: Christel Pieper)
Das zweite Referat „JENSEITS BLOSSER OPFER-RHETORIK – ERINNERN AN DIE NS-ZEIT IM KIEL DES 21. JAHRHUNDERTS“ von Prof. Dr. Oliver Auge (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) war für mich greifbarer gestaltet. Mit Folien zu den einzelnen Schritten und einem erarbeiteten Referat mit Recherchenmaterial aus dem Internet war ich wieder auf den Boden der Tatsachen gelandet. So erfuhren wir, dass Stefan Link, der im Internet sich zur Kieler Gedenkstättenarbeit äußerte, vom „den Mangel verwalten“ spricht. Und die Erwähnung des Entwicklungskonzepts von Dr. Harald Schmidt, das einen Überblick über die Gedenkstätten in Schleswig-Holstein gibt und auf dessen Basis man Gelder für Bundesmittel beantragen will, ist schon ein Schritt in die Zukunft. Die Gegenwart zeigt ein trostloses Bild: Die schleswig-holsteinischen Gedenkstätten sind in einem schlechten Zustand. Sie sind finanziell und personell völlig unzureichend ausgestattet, ein Großteil der Arbeit wird von Ehrenamtlichen erledigt. Keine zentrale Geschäftsstelle vernetzt die verschiedenen Orte. Zudem ist Schleswig-Holstein das einzige Land, das bisher keine Mittel des Bundes zur Förderung von Gedenkstätten erhält – es hat sie nicht beantragt. Mit der „Erinnerungskultur an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft“ befasst sich ein Interfraktionelle Antrag der Ratsfraktionen der SPD und Bündnis90/Die Grünen. Mit einer Dokumentation, die 50 Erinnerungsorte in Kiel umfasst, möchte man auf der Internetseite der Landeshauptstadt Kiel auf diese Orte aufmerksam machen und u.a. eine „Kieler Werkstatt für Erinnerungskultur“ als dauerhafte Einrichtung zu etablieren. Professor Auge gibt uns noch einige Fragen und Denkanstöße mit auf den Weg: – Welchen Stellenwert hat die Erinnerung an die NS-Zeit? – Was bringt es jungen Leuten, was den Migrant_innen? – Aura schaffen durch museale Aufarbeitung! – Was will man und was ist man bereit zu zahlen? Und zum Schluss schlägt er auch einen Kompromiss vor. Da Kiel keine Gedenkorte hat (nach seiner Meinung), wäre eine Vernetzung mit anderen Orten wichtig.
Wie aber kann man gedenken und erinnern, indem man auf dem Bildschirm schaut? Seine Antwort: Eine hauptamtliche betreute Erinnerungswerkstätte mit Führungen, Seminaren etc. Das erinnert mich dann an den Antrag an die Ratsversammlung, der demnächst im Kultur- sowie im Innen- und Umweltausschuss behandelt wird.
Nach einem kleinen Imbiss geht es mit einer Podiumsdiskussion weiter. Auf der Bühne versuchen die 5 geladenen Gäste sich nicht nur den Fragen der Moderatorin Annette Wiese-Krukowska von der Landeszentrale für politische Bildung und später dem Publikum zu stellen, sondern sie müssen auch noch das Gleichgewicht auf den schwingenden hohen Hockern halten.
Unsere Stadtpräsidentin Cathy Kietzer machte dabei eine gute, stabile Figur und ist die Erste, die sich zum Thema „ERINNERN UND GEDENKEN IN KIEL – HERAUSFORDERUNGEN, KONFLIKTE, PERSPEKTIVEN“ äußern darf. Erinnern steht für sie im Mittelpunkt und ist notwendig und immer weiter zu vermitteln. Den Neonazi in der Ratsversammlung – so bedauert sie – muss ja jemand gewählt haben. Erinnerungsarbeit ins Heute zu holen, könnte vielleicht interaktiv (auch aus Kostengründen) geleistet werden. Für sie, mit den Erfahrungen der Arbeit an den Stolpersteinen, ist die persönliche Einbeziehung von Schüler_innen besonders wichtig. Aus dem schon erwähnten Katalog der 50 Kieler Erinnerungsorte sollte man sich auf ein paar Punkte beschränken und sie umsetzen.
Eckhard Colmorgen, Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein, nennt Prof. Dr. Peter Reichels Ausführungen schöne Fantasterei und gibt mit seiner Meinung, Kiel käme über ein Stadtmuseum nicht hinaus, nach meinem Empfinden, eine realistische Einschätzung. Und er hat auch gleich einen Vorschlag parat für einen authentischen Erinnerungsort, den es in Kiel laut den vorherigen Vorträgen nicht geben soll. Diesen Ort finden wir in der Düppelstraße 23, in dem Haus der ehemaligen Gestapozentrale, die ab 1937 auch für ganz Schleswig-Holstein zuständig war. Heute ist in diesem Haus das Polizeirevier 1. Im Keller standen drei Haftzellen zu Verfügung (die Räume gibt es noch), in der technische Vernehmungen vorgenommen wurden, erklärt Colmorgen. Ich nenne es Folter in Gedanken an meinem Vater und seinen Genoss_innen.
Jens Rönnau, (Sprecherrat LAGSH, Mahnmal Kilian/Flandernbunker Kiel) sieht eine Chance für Kiel darin, Vertreter_innen des Militärs, der Kirchen, der Rüstungsbetriebe, der Friedensbewegung u.a. alle an einem Tisch zu holen, um die schon bestehenden Ansätze und Beschlüsse umzusetzen
Dr. Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, berichtet von neuen Ansätzen, die u,a, viele Seminarangebote bieten. Und er erzählt uns von der ehemaligen Gestapozentrale in Hamburg, die im „Stadthaus“ untergebracht war, das die Stadt jetzt zum Verkauf angeboten hat. Auflage ist nicht nur der Denkmalschutz, sondern eine 700qm große Fläche zum Gedenken zu nutzen in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Neuengamme.
Prof. Dr. Karl Heinrich Pohl bei der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten, sieht es als Chance, dass Kiel mit dem Gedenken zu spät angefangen oder bisher gar nicht wahrgenommen hat. Die Kieler Erinnerungskultur sieht er in der Revolution 1918 in Kiel.
Es war ein interessanter Abend mit vielen Anregungen und Informationen.