NSA und die Konsequenzen

25. September 2013

Was wir immer schon geahnt haben, dass wir flächendeckend überwacht werden, hat Edward Snowden jetzt enthüllt. Mich überrascht das Ausmaß der globalen Überwachung. Die USA haben seit 2007 mit Prism, XKeyscore und Anderem ihr weltweites System zur Bespitzelung und Überwachung entscheidend ausgebaut. Man kann erwarten, dass es noch weitere Enthüllungen geben wird.

Die Überwachung wurde mit der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den USA, die Bundeskanzler Schröder 2002 verkündete, für dieses Land offiziell eingeleitet.

Flächendeckende Überwachung ist amtlich!

Die Bundesregierung versucht sich ahnungslos zu geben und die Bespitzelung der Bundesbürger klein zu reden. Zu den Fakten:

„Der stellvertretende NSA-Direktor Chris Inglis sprach vor den Abgeordneten über Umfang und Art der Ausforschung des Umfelds von Terrorverdächtigen. Die Überwachung konzentriere sich nicht nur auf verdächtige Personen selbst, sondern auch auf deren Kommunikationspartner. Die NSA-Analysten würden dabei bis zu drei Schritte weit gehen, sagte Inglis laut einem Bericht des „The Atlantic Wire“.“ … 2011 hatte die Universität von Maryland in einer Studie festgestellt, dass im Internet die durchschnittliche Distanz zwischen zwei beliebigen Surfern 4,74 Schritte beträgt. …

„Bislang war immer nur die Rede davon, dass die NSA-Mitarbeiter zwei Schritte weit gehen. Welche ungeheuren Datenmengen dabei zustande kommen können, vermag sich jeder vorzustellen, der das am Beispiel eines Facebook-Profils durchrechnet. Wenn der durchschnittliche Nutzer 150 Kontakte pflegt, summieren sich deren Kontakte bereits auf 22 500 Menschen. Beim dritten Schritt kommen 3 375 000 (150³) weitere Überwachungsziele hinzu, von denen jedes eine Vielzahl von Gesprächen, E-Mails oder Chats mit seinen Freunden ausgetauscht hat.“ [Aus Spiegel Online 18. Juli 2013, 12:16 Uhr „NSA-Spähprogramm – Ein Verdächtiger, Millionen Menschen im Visier“]

Natürlich ist die obige Rechnung vereinfacht, denn wenn die Kontakte drei Schritte weit verfolgt werden gibt es Überschneidungen und manche Kontakte werden doppelt gezählt. Ich möchte vorsichtiger als der Spiegel rechnen. Geht man davon aus, dass bei jedem weiteren Schritt die Hälfte der Verbindungen doppelt gezählt wird, so ergibt sich 150 * 75² = 843 750 Überwachungsziele.

Im vorläufigen Verfassungsschutzbericht des Bundes von 2012 werden 42 550 islamistische Extremisten, zusätzlich 28 810 extremistischer Ausländer (ohne Islamismus) und 29.400 sogenannte Linksextremisten gezählt. In der Summe sind das 100 760 Personen, dabei kann man davon ausgehen, dass die auch überwacht werden. Die 22 150 aufgeführten Rechtsextremisten werden vorsichtshalber nicht in die Rechnung einbezogen. (Ist es angesichts der flächendeckenden Überwachung überhaupt glaubhaft, dass die Geheimdienste nichts von den 10 Morden des NSU wussten? Oder weshalb wurden „versehentlich“ relevante Akten geschreddert?)

Wendet man diese Überlegung nun auf die Zahl vermutlich überwachten Menschen in unserem Land an, so kommt man zu folgendem Ergebnis:

Jeder ist im Durchschnitt 1 062 Mal im Überwachungsraster!

Im Durchschnitt ergibt das 100 760 mal 843 750 gleich 85 016 250 000 überwachte Menschen. Damit fällt jeder der ca. 80 000 000 Bundesbürger im Durchschnitt 1 062 mal in das Überwachungsraster der NSA. Es ist also amtlich, wir werden flächendeckend überwacht.

Wenn Innenminister Friedrich und Bundeskanzlerin Merkel behaupten, es gäbe keine flächendeckende Überwachung, dann glauben sie wohl, dass die Mehrheit der Bundesbürger an Dyskalkulie (krankhafter Rechenschwäche) leiden oder sie verlassen sich darauf, dass die bürgerlichen Medien (Zeitschriften, Fernsehen) die Leute schon beruhigen.

Wie sicher sind amerikanische Computerprogramme? Dazu folgendes Zitat:

„Neue Produkte erst einmal den Überwachern vorgelegt

Vor dem Hintergrund der neuen Enthüllungen erscheint das wie ein reichlich kreativer Umgang mit der Wahrheit. Skype-Anrufe waren eben nicht Ende-zu-Ende verschlüsselt. Wie soll ein Unternehmen, das Produkte von Microsoft einsetzt, künftig noch darauf vertrauen, dass die eigenen Betriebsgeheimnisse nicht ausgeforscht werden, wenn das Unternehmen sogar in Bezug auf die Sicherheit der eigenen Dienste die Wahrheit verschleiert?

FBI und NSA arbeiteten aber offenbar nicht nur an dieser Front eng mit Microsoft-Personal zusammen. Die vom „Guardian“ zitierten Dokumente scheinen auch zu belegen, dass sogar neue Produkte erst einmal den Überwachern vorgelegt und nach deren Wünschen modifiziert werden, bevor Endkunden sie benutzen dürfen. So hätten die Fachleute von der Special Source Operations (SSO) Division der NSA schon Monate vor dem Start von Microsofts neuer Internetplattform outlook.com Bedenken angemeldet: Dort seien verschlüsselte Chats möglich, das sei ein Problem.

Dem „Guardian“ zufolge wurde dieses Problem dann innerhalb von fünf Monaten in Zusammenarbeit von Microsoft und FBI gelöst. Die Lösungen seien „erfolgreich getestet“ und dann am 12. Dezember 2012 in den Regelbetrieb aufgenommen worden. Am 18. Februar 2013 wurde outlook.com dann für die Allgemeinheit geöffnet – samt FBI-Hintertür.“
[Aus Spiegel Online 12. Juli 2013, 17:18 Uhr Überwachungsskandal – Wie Microsoft systematisch den Geheimdiensten hilft.]

Diese Nachricht bedeutet, dass alle Computerprogramme und -firmen wie Mikrosoft, Google, Apple, Facebook, Wikipedia mit amerikanischen Besitzern den amerikanischen Geheimdiensten den vollen Zugriff auf die Daten der Nutzer gewähren und die Hintertüren zur Ausspähung durch NSA,FBI,CIA etc. bereits vor Freigabe der Programme eingebaut haben!

Der E-Mail-Dienst Lavabit, bei dem Edward Snowden die Adresse edsnowden@lavabit.com hatte, musste inzwischen schließen, weil er von den US Behörden unter Druck gesetzt wurde. Wenige Stunden nach Lavabit folgte der E-Mail-Dienst Silent Circles, der ähnliche Leistungen anbietet, und erklärte, alle Daten seien bereits vernichtet worden. Die Firma habe noch keine Durchsuchungsbefehle oder andere Auflagen erhalten, wolle aber gerade deswegen handeln, solange es noch möglich sei.

Was bedeutet die Ausspähung für die Wirtschaft?

Zunächst einmal bedeutet das für die deutsche Wirtschaft ungeheuerliche Industriespionage. Gerade die mittelständischen Betriebe als Rückgrat der Industrie sind auf ihrem Gebiet oft Weltmarktführer und auf ihr Know-How angewiesen. Industriespionage ist für sie existenzvernichtend und kostet millionen Arbeitsplätze. Es wird für dutzende Milliarden Euro im Jahr Schaden angerichtet.

Aus einer vertraulichen Klassifizierung geht hervor, dass die NSA die Bundesrepublik zwar als Partner, zugleich aber auch als Angriffsziel betrachtet. Demnach gehört Deutschland zu den sogenannten Partnern dritter Klasse. Ausdrücklich ausgenommen von Spionageattacken sind nur Kanada, Australien, Großbritannien und Neuseeland, die als zweite Kategorie geführt werden. „Wir können die Signale der meisten ausländischen Partner dritter Klasse angreifen – und tun dies auch“, heißt es in einer Präsentation.

Geht es wirklich „nur“ um Ausspähung?

Zunächst einmal bedeutet diese Ausspähung millionenfache Verletzung von Grundrechten. Das ist schlimm genug, aber es geht noch darüber hinaus.

Betrachten wir dazu beispielhaft einmal die Fähigkeiten von Google und Facebook.

Beide Programme erstellen Persönlichkeitsprofile, sie erforschen Interessen der individuellen Nutzer, zunächst einmal um gezielt Werbung platzieren zu können. Die Fähigkeiten der Software gehen inzwischen so weit, dass das Verhalten von Menschen recht zuverlässig vorhergesagt werden kann. Außerdem suchen und filtern sie Informationen. Sie können Informationen zeigen oder unterdrücken. Solange man Katzenfreunden vorwiegend Katzenbilder zeigt, ist das harmlos.

Gefährlich ist es, wenn durch die NSA bestimmt wird, welche Informationen wir zu sehen bekommen und welche nicht. Darüber lassen sich extrem effektiv Meinungen manipulieren. Man überlege sich einmal, welche Möglichkeiten die NSA mit ihren viele Hektar großen Serverfarmen hat um über Google, Facebook, Wikipedia und Co, sowie zusätzliche Kampagnen, Meinungen, Verhalten (auch Kaufverhalten) und Wahlen zu manipulieren. Und das millionenfach per Computer und Software, ohne dass von Hand eingegriffen werden muss.1 Die NSA hat Zugriff auf alle diese Programme und Daten!

Die Manipulationsmöglichkeiten haben sich inzwischen potenziert.

Wer glaubt, er habe ja nichts zu verbergen, irrt sich gewaltig. Jeder, der nicht gegen seine Interessen manipuliert werden will, hat etwas zu verbergen: Sein Persönlichkeitsprofil!

Übrigens haben mir Werbeprofis versichert, dass es keine Schande sei auf professionelle Manipulation hereinzufallen. Das habe nichts mit (mangelnder) Intelligenz zu tun. Wenn mit Emotionen gespielt wird, fallen auch Akademiker darauf herein. Wenn man nicht auf Manipulation bauen würde, warum werden dann ca. 30 000 000 000 € im Jahr von der deutschen Werbeindustrie eingenommen. Es sollte also niemand glauben, er sei vor Manipulationen sicher.

Unter gewissen Voraussetzungen können die Geheimdienste der USA sogar Aufstände inszenieren, Regierungen stürzen und Wahlen manipulieren. Damit es weniger auffällt werden dazu manche Nichtregierungsorganisationen oder Stiftungen benutzt.

Letztlich bedeutet das die Kernschmelze der Demokratie.

Die USA tun so etwas nicht?

Das glauben viele Menschen. Nur ging es gerade durch die Presse, dass die USA die Vertretungen der EU mit Wanzen abgehört hat. [Z.B. Spiegel Online 29. Juni 2013, 16:07 Uhr Geheimdokumente NSA horcht EU-Vertretungen mit Wanzen aus.]

Außerdem fragt man sich: Wozu baut die NSA viele Hektar große Serverfarmen? Nur um vielleicht 10 Amerikaner vor dem Terror der Islamisten zu retten? Allein die Zentrale der NSA in Fort George G. Meade (Maryland) ist 17 km² groß.

Es geht nicht um Sicherheit, es geht um Macht

Dabei sind Deutschland und Europa nicht so ohnmächtig, wie sie sich geben. 500 Millionen EU-Bürger müssen sich nicht einer verlogenen Sicherheitsdebatte beugen. Die militärischen Fähigkeiten der USA haben die Welt offensichtlich nicht zu einem sichereren Ort gemacht – aber die Vereinigten Staaten zu einem mächtigeren Land.

Und hier geht es nicht um Sicherheit. Es geht um Macht.

Wollen sich die Deutschen dem Joch dieser Macht mit stiller Lust beugen, wie Heinrich Manns „Untertan“ sie empfand? „Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! … Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben!“

No-Spy Abkommen

Der Kanzleramtsminister (Geheimdienstkoordinator) Ronald Pofalla erklärte die NSA-Affäre für beendet, da die USA ein sogenanntes No-Spy Abkommen angeboten hätten. Das hört sich zunächst einmal gut an, aber wie sollte das Abkommen kontrolliert werden? Warum sollten die USA sich daran halten? Warum sollten Aussagen von US Geheimdienstleuten glaubwürdig sein, wenn sie nachweislich Kongressabgeordnete der USA belügen? Und welche Sanktionsmöglichkeiten hat die deutsche Regierung?

„Wenn ein US-Geheimdienstchef aber selbst Kongressabgeordnete anlügt, dürfte eine schriftliche Versicherung irgendeines namentlich nicht bekannten NSA-Offiziers gegenüber Europäern nur knapp den ideellen Wert eines gebrauchten Papptellers übersteigen. Dieses gravierende Problem hat seinen Ursprung in der völlig verbogenen Innenpolitik der USA und kann nicht durch die Bundesregierung behoben werden. Pofalla dürfte aber nicht so tun, als gäbe es dieses Problem nicht.“ [Spiegel Online: 13. August 2013, 14:37 Uhr Spähaffäre Die Regierung kapituliert vor der NSA]

Manchmal ist Sprache verräterisch:

Kanzleramtsminister Pofalla benutzte bei seinen diesbezüglichen Statements die einschränkenden Formulierungen „Nach Angaben der NSA“ oder „In Deutschland“. Ein Beispiel: „Die NSA hat uns schriftlich versichert, dass sie Recht und Gesetz in Deutschland einhält.“ Die amerikanischen Stützpunkte in diesem Land sind amerikanisches Hoheitsgebiet und nicht in Deutschland.

Wie soll man angesichts der Fakten die Reaktionen von Innenminister Friedrich, Kanzleramtsminister Pofalla und Bundeskanzlerin Merkel bewerten? Als Realsatire oder als Landesverrat?

Konsequenzen

Jedes Land, das nicht von den USA manipuliert bzw. ferngesteuert werden will, muss sich massiv gegen diese Ausspähung und Manipulation abschotten. Dabei taucht das nächste Problem auf: Wie soll das realisiert werden, ohne das es in Zensur und einen Überwachungsstaat ausartet. Es gibt hier noch einigen Diskussionsbedarf.

Einiges kann man schon tun:

  1. Keine Software verwenden, die aus den USA oder aus unsicheren Ländern stammt, da die Spionagemöglichkeiten (z.B. Backdoors) bereits vor Freigabe zum Verkauf eingebaut worden sind.

  2. Vorsichtshalber sollte man auch keine Software von Firmen verwendet werden auf die Amerikaner Einfluss haben.

  3. Es wird empfohlen „Open Source“ Software zu verwenden. Sie bietet einen gewissen Schutz, da dort Spionagemöglichkeiten leichter erkannt werden können.

  4. Keine E-Mail und keine Daten z.B. aus sozialen Netzwerken, Suchmaschinen, Cloud Computing etc.. dürfen auf Server außerhalb der BRD, oder anderer „sicherer Länder“ gelangen.

  5. Die USA verlieren in der EU alle Hardwarepatente und alle Patente auf (Software)Algorithmen, damit eine Infrastruktur aufgebaut werden kann, die einigermaßen sicher vor Spionage ist.

  6. Politisches Asyl und Schutz vor Anschlägen für Edward Snowden und andere Wistleblower.

  7. 10 Mio € für das Wissen des Herrn Snowden sind eine gute Investition zum Schutz der deutschen Exportindustrie. Man zahlt ja auch für Daten über Steuerbetrüger.

  8. Bestrafung der an dieser Ausspähung Beteiligten nach deutschem Recht.

    .

Der Aufwand für eine einigermaßen sichere Dateninfrastruktur ist kaum abzuschätzen. Er wird sehr groß sein.

Anhang

Manipulationsmöglichkeiten vor Prism

Die USA manipulierten Meinungen und Wahlen bereits vor Prism. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Ukraine. Die beiden angehängten Artikel aus Spiegel Online und den Blättern für deutsche und internationale Politik illustrieren das sehr gut, so dass ich mir weitere Kommentare spare.

[Spiegel Online- 21. November 2005 12:05 Der Umsturzhelfer von Georg Mascolo]

http://www.spiegel.de/politik/ausland/robert-helvey-der-umsturzhelfer-a-386006.html

und

[Blätter für deutsche und internationale Politik Dezember 2005: Demokratieexport nach Osteuropa: US-Strategien in der Ukraine Mária Huber (S. 1463)]

Für die Verlinkung des Artikels aus den Blättern für Deutsche und Internationale Politik liegt noch keine Genehmigung vor. Sobald sie vorliegt, wird der Artikel verlinkt.

Man sollte vor diesem Hintergrund einmal die Berichterstattung über den „Arabischen Frühling“ oder die „böse Zensur“ des Internets in China etc. betrachten.

Spiegel Online erwies sich für dieses Thema als eine sehr ergiebige Informationsquelle.

1 Natürlich müssen Strategien, Kampagnen und Filme, Texte ect. noch von Menschen ersonnen werden, aber die Zuordung erfolgt automatisiert.