Landtagswahlen im Osten – Ulrich Schneider

18. November 2024

Die Landtagswahlen in den drei Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen liegen bereits mehrere Wochen zurück, dennoch bewegen die Ergebnisse bis heute die antifaschistische Debatte. Selbst die Mainstream-Medien berichten häufiger von den Konsequenzen, insbesondere, weil sich die Regierungsbildung kompliziert entwickelte. In ersten Reaktionen schwankten die Berichte – je nach politischer Orientierung – von einem Abgesang der Ampel-Koalition bis zu „gerade noch einmal gut gegangen“. Ein genauerer Blick auf einzelne Ergebnisse ist lohnend.


Trotz aller antifaschistischen Aufklärungsarbeit („Höcke ist ein Nazi“) in allen drei Bundesländern, Dorf- und Straßenagitation von „Aufstehen gegen Rassismus“ und anderen antifaschistischen Netzwerken, gelang es nicht, jeweils etwa dreißig Prozent der Wählenden davon abzuhalten, ihr Kreuz bei der AfD zu machen. In Thüringen wurde die offen faschistische Höcke-AfD die stärkste Kraft im Landtag, in Sachsen und Brandenburg landete die Partei knapp hinter den jeweiligen Ministerpräsidenten, die sich als „letzte Bastion“ gegen die AfD präsentierten. Daraus abzuleiten, dass deren Parteien eine entsprechend große Zustimmung bei den Wählenden erreicht hätte, ist abwegig, wenn man nur die desaströsen Resultate der SPD in Thüringen und Sachsen oder der CDU in Brandenburg betrachtet. Es ist offenkundig, die Wahl der beiden Ministerpräsidenten war eher eine Anti-AfD-Stimme, weniger eine Stimme für ihre Partei. In Thüringen ergab sich die Besonderheit, dass Ministerpräsident Ramelow für die LINKE antrat, die sich durch die Abspaltung des Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) in einem problematischen Zustand befindet. Trotz eines auf den anerkannten Ministerpräsidenten konzentrierten Personenwahlkampf verlor die Partei mehr als 50% der Stimmen. Ein deutliches Signal ihrer politischen Schwäche ist die geringe Zahl von Direktmandaten, die die LINKE nur in einzelnen Großstädten erringen konnte. In Sachsen rettete ihr dies das Überleben im Landtag. Auf dem Land und in den Kleinstädten verlor sie massiv. In Brandenburg führte es dazu, dass zum ersten Mal seit 1990 keine linke Partei mehr im Landtag vertreten ist.

Wenn die LINKE als politischer Akteur nicht nur in den östlichen Bundesländern eine Rolle spielen will, dann müssen hier nicht nur wohltönende Worte, wie auf dem Bundesparteitag in Halle/S., sondern tatsächliche Neuorientierungen in Richtung der arbeitenden Menschen folgen. Im „Neuen Deutschland“ glaubte ein Kommentator, aufgrund der Wahlergebnisse der Linken empfehlen zu müssen, sich vom Proletariat als gesellschaftsverändernde Kraft zu verabschieden und das „woke“ großstädtische Kleinbürgertum zur Zielgruppe linker Politik zu erklären. Doch dann hätte diese Partei tatsächlich ihre politische Berechtigung verloren.


Unbestrittene Siegerin dieser Wahlen ist die AfD. Der Partei ist es gelungen, Themen für sich auszunutzen, die auch die Mainstream-Medien in den vergangenen Monaten mit spektakulären Berichten in den Vordergrund schoben. Dazu gehören die Kernthemen der extremen Rechten: „Angst vor Flüchtlingen“ und Zuwanderung sowie „Sicherheit“ und Kriminalitätsangst. Selbst wenn die objektiven Zahlen zu Migration und Kriminalität in diesen Bundesländern eine andere Sprache sprechen, trugen die bundesweiten medialen Kampagnen („Messermord in Solingen“) dazu bei, diesem Thema Nahrung zu geben. Erschreckend ist, dass viele Wählende die Zustimmung zur rassistischen Hetze der AfD, ihre Kritik an Flucht und Migration als Grund für ihre Wahlentscheidung angaben. Und wenn Bundesregierung und CDU nun auf „Law and Order“ machen, bestätigt sich einmal mehr:
Man wählt das Original und nicht die Kopie.


Drei Bereiche der Wahlanalyse müssen zu denken geben. Die AfD ist bei dem Wähler*innen bis 30 Jahren in allen drei Bundesländern die mit großem Abstand erfolgreichste Partei. Die AfD hat sich als attraktive Kraft für Jung- und Erstwähler gezeigt. In Regionen, die durch Abwanderung und Strukturwandel am meisten betroffen sind, sind die Wahlergebnisse für die Partei am höchsten und bei der sozialen Zusammensetzung haben fast 50% derjenigen, die zur Gruppe der Arbeiter gerechnet werden, die AfD gewählt. Kurz formuliert, die AfD ist erkennbar keine „Protest-Partei“ mehr, was Antifaschisten auch früher schon betont hatten. Sie profitiert von der gesellschaftlichen Diskursverschiebung, bei der „Fremde“ und insbesondere muslimische junge Männer als „Bedrohung“ wahrgenommen werden. Die ideologische Langzeitwirkung der PEGIDA-Hetze ist in den Medien und den Köpfen der Wählerinnen angekommen.

Ein Thema hat die Wahlen deutlich beeinflusst, obwohl es originär kein Landesthema ist, die Frage Krieg und Frieden. Natürlich wird Landespolitik durch Hochrüstung und Folgen der militärischen Eskalationen in der Welt mittelbar betroffen, da die Bundesländer Lösungen für die Probleme finden müssen, die Kriege und Waffenexporte in aller Welt geschaffen haben. Auch die fehlenden Zuweisungen im Sozial- und Gesundheitsbereich sind unmittelbar Folge politischer Entscheidungen zugunsten von „Kriegstüchtigkeit“ und „100 Mrd. Sondervermögen“. Erkennbar haben in den drei Bundesländern viele Wählende ihre Entscheidung mit diesem Thema begründet. Der größte Profiteur war das BSW, das auf Plakaten und öffentlichen Auftritten dieses Thema in den Vordergrund gestellt hat. Man kann davon ausgehen, dass in der Altersgruppe ab 50 Jahren diese Haltung besonders honoriert wurde. Bürgerliche Parteien warfen dem BSW deshalb vor, keine landespolitische Kompetenz zu haben.

Zwar versuchte auch die AfD auf diesem Ticket Stimmen zu gewinnen, das machte die Stimme für die AfD aber damit trotzdem nicht zu einer „Anti-Kriegs-Wahl“. In gewisser Weise waren diese Landtagswahlen Stimmungsbilder, die die politische Landschaft verändert haben. Ein sichtbares Signal war die Erklärung der drei möglichen Ministerpräsidenten, die sich für mehr Diplomatie im Umgang mit dem Ukraine-Krieg einsetzten. Während sich das politische Berlin darüber echauffierte, zeigt die Erklärung, dass das Ergebnis für das BSW, das diese Frage zur Vorbedingung für mögliche Koalitionen benannt hat, Bewegung in die politische Landschaft gebracht hat.

Was ist zu tun? Notwendig scheint es, eine neue Strategie gegen den Vormarsch der AfD zu entwickeln. Die richtige Aussage „Höcke ist ein Nazi“ hat erkennbar ein Drittel der Wählerinnen nicht abhalten können, diese Partei zu unterstützen. Metropolen- und szeneorientierte Argumentationen sollten nicht die gesellschaftliche Gegenbewegung prägen. Ein Verbot der AfD wäre nötig, wird aber das Problem nicht lösen. Es müssten stattdessen vielfältige Anstrengungen unternommen werden, eine Diskurs- Verschiebung zu den realen Problemen der Menschen (Bildung und Versorgung der Kinder, Gesundheit und soziale Sicherheit, öffentliche Versorgung und ÖPNV, Arbeitsplätze und gerechte Wirtschaft etc..) zu erreichen. Dazu müssten nicht parteigebundene gesellschaftliche Kräfte (Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und Kulturorganisationen, antifaschistische und migrantische Verbände etc.) gemeinsam Strategien zu Verbesserung der Lebensverhältnisse entwickeln.
Ulrich Schneider

Ein braun-blauer-Durchmarsch – Gedanken zur Wahl in Thüringen

2. September 2024

Dr. Ulrich Schneider


Fangen wir mit den wenigen erfreulichen Ergebnissen der Thüringer Landtagswahl an.

Höcke hatte als Wahlziel formuliert, die AfD wolle 33 + X Prozent der Stimmen erhalten. Das hat sie mit 32,8% nicht geschafft. Außerdem gelang es Höcke in seinem Wahlkreis nicht, ein Direktmandat für den Landtag zu erringen. Damit sind jedoch die positiven Aspekte der Wahl schon erschöpft. Ob man es für positiv oder bedauerlich hält, dass weder die FDP (1,1%), noch die GRÜNEN (3,2%) im Landtag vertreten sind, hat mit politischen Präferenzen zu tun. Es ist für die bundesdeutsche Parteienlandschaft jedoch eine bemerkenswerte Tatsache.


Wenn man die anderen Parteien betrachtet, dann ist erschreckend, wie die LINKE; die Partei des durchaus anerkannten Ministerpräsidenten Bodo Rameloh, mit 18% Verlust vollkommen eingebrochen ist. Analysten meinen, dass– wenn sie nicht einen auf den MP konzentrierten Personenwahlkampf geführt hätte – die Verluste noch höher ausgefallen wären. Ein deutliches Signal ihrer politischen Schwäche ist die geringe Zahl von Direktmandaten, die sie tatsächlich nur in den wenigen Großstädten erringen konnte. Auf dem Land und in den Kleinstädten hat sie massiv verloren. Viele Stimmen der LINKEN konnte sicherlich das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) gewinnen, aber über die Hälfte der verlorenen Stimmen gingen an Nichtwähler, an die CDU, die SPD und selbst an die AfD. Wenn man sich die Wählerzusammensetzung anschaut, dann ist die LINKE nicht mehr die Partei der ehemaligen DDR Bürger, denn in der Altersgruppe ab 40 Jahren und bei Wählern, die seit über 20 Jahren in der Region leben, hat sie überdurchschnittlich verloren. Jungwähler, akademisch Gebildete und Zugezogene haben sie unterstützt. Ob das in Zukunft reichen wird, ist fraglich.


Die Koalitionspartei SPD, die sich von den Problemen der LINKEN Stimmen versprochen hatte, hat mit gerade einmal 6,1% knapp den Wiedereinzug in den Landtag geschafft. Es ist – nicht nur in Thüringen – eine Partei ohne Tradition, ohne regionale Verankerung und ohne Macht, von der sich Unterstützer mögliche berufliche oder gesellschaftliche Positionen versprechen könnten. Also gerät sie in den Sog des verhängnisvollen Bildes, was die Ampel-Koalition in Berlin abgibt – eine Tendenz, die die GRÜNEN und die FDP ebenfalls erlebten. Da die SPD für Thüringen nichts anzubieten hatte und in Berlin ein desaströses Image liefert, schrumpfte sie auf ihre „Kernanhängerschaft“ in den Städten zusammen. Sichtbares Zeichen dafür ist, dass sie kein Direktmandat erzielen konnte.


Die CDU als bisherige tolerierende „Opposition“ hatte gehofft, aus den Problemen in Berlin und bei der Minderheits-Regierung in Erfurt Profit ziehen zu können. Auch nahm man in den vergangenen Wochen propagandistisch verstärkt Themen der AfD auf. Tatsächlich wanderten einige Stimmen der Koalitionsparteien zur CDU, so dass sie knapp 2% gewann. Aber die politische Farblosigkeit des politischen Personals der Partei führte mit dazu, dass Wähler bei der Entscheidung für rechte Themen dann doch das „Original“ wählten, und nicht die blasse Kopie. Obwohl die CDU mit 23,6% eine relative Einflussgröße darstellt, erreichte sie nur im katholischen Eichsfeld und im Südosten mehrere Direktmandate.


Auffällig ist das Wahlergebnis für das BSW, die mit knapp 16% aus dem Stand die drittstärkste Kraft im Thüringer Landtag wurde. Trotz medialer Kampagnen, die die BSW entweder in Richtung AfD, als „Stasi“ Partei oder einfach nur als „Populisten“ meinten denunzieren zu können, wurde diese Partei von einem interessanten Wählerklientel unterstützt. Überdurchschnittlich gewann sie bei der Altersgruppe ab 50 Jahren und denjenigen, die seit mehr als 20 Jahren in der Region leben. Das BSW bot sich damit als ostdeutsche Protestpartei an, der zugetraut wurde, sich für die Belange und Vorstellungen dieser Menschen zu interessieren. Das BSW verhinderte damit einen weiteren Zulauf von Menschen zur AfD, die mit ihren Themen versuchte, ebenfalls dieses Image auszubauen. Die Glaubwürdigkeit des BSW hing auch mit Personen zusammen, wie der Spitzenkandidatin, die Eisenacher Oberbürgermeisterin Wolf, die auch landespolitische Popularität besaß. Dass das BSW auch eine klare Abgrenzung zur Ampel-Koalition auf Bundesebene gezeigt hat, hat sicherlich zu ihrem positiven Image in Thüringen beigetragen.


Unbestrittene Gewinnerin der Landtagswahlen ist die AfD, die mit knapp 33% und dem Gewinn der absoluten Mehrheit der Direktmandate – trotz erkennbar neofaschistischer Ausrichtung vieler ihrer Kandidatinnen – einen deutlichen Erfolg verbuchen konnte. Während auf der einen Seite die gesellschaftlichen Kräfte vor der inhaltlichen Ausrichtung dieser Partei warnten (vgl. Brief des Gedenkstättenleiters Wagner zur AfD), was bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte, gleichzeitig auch ein Anstieg der Wahlbeteiligung um etwa 10% einen politischen Mobilisierungsgrad zeigte, haben alle diese „Aufklärungs-Aktionen“ nicht dazu beigetragen, die Wähler von der Wahl dieser Partei abzuhalten. Drei Bereiche der Wähleranalyse müssen zu denken geben. Die AfD ist bei dem Wählerinnen bis 30 Jahren die mit großen Abstand erfolgreichste Partei. In Regionen, die durch Abwanderung und Strukturwandel in Thüringen am meisten betroffen sind, sind die Wahlergebnisse für die Partei am höchsten und bei der sozialen Zusammensetzung haben fast 50% derjenigen, die zur Gruppe der Arbeiter gerechnet werden, die AfD gewählt.


Der Partei ist es gelungen, Themen für sich auszunutzen, die auch die Medien in den vergangenen Monaten mit spektakulären Berichten in den Vordergrund schoben. Zum einen ist es die Kritik an dem Zustand der Ampel-Koalition, von der auch die AfD profitierte. Zweitens sind es die Kernthemen der extremen Rechten, Angst vor Flüchtlingen und Zuwanderung sowie „Sicherheit“ und Kriminalitätsangst. Selbst wenn die objektiven Zahlen der Migration und der Kriminalität in Thüringen eine andere Sprache sprechen, trugen die bundesweiten medialen Kampagnen („Messermord in Solingen“) dazu bei, diesem Thema Nahrung zu geben. Und wenn die Bundesregierung nun auf „Law and Order“ macht, trifft dasselbe zu, wie bei der CDU. Man wählt das Original und nicht die Kopie.


Kurz formuliert, die AfD ist in Thüringen erkennbar keine „Protest-Partei“ mehr, was Antifaschisten auch früher schon betont hatten. Sie profitiert von der gesellschaftlichen Diskursverschiebung, bei der „Fremde“ und insbesondere muslimische junge Männer als „Bedrohung“ wahrgenommen werden. Die ideologische Langzeitwirkung der PEGIDA-Hetze ist in den Medien und den Köpfen der Wähler*innen angekommen.


Was ist dagegen zu tun? Notwendig scheint es, nicht nur in Thüringen, sondern bundesweit eine neue Strategie gegen den Vormarsch der AfD zu entwickeln. Die formulierte Tatsache „Höcke ist ein Nazi“ hat erkennbar ein Drittel der thüringischen Wähler nicht aufklären können. Metropolen- und szeneorientierte Argumentationen sollten weniger im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Gegenbewegung stehen (nicht nur die Thüringer AfD-Wähler interessiert es nicht, wie die Partei zum Thema LGBTQ steht, und die, die sich dafür interessieren, wählen nicht AfD). Stattdessen müssten Anstrengungen unternommen werden, eine Diskursverschiebung zu den realen Problemen der Menschen (Bildung und Versorgung der Kinder, Gesundheit und soziale Sicherheit, öffentliche Versorgung und ÖPNV, Arbeitsplätze und gerechte Wirtschaft etc.) zu erreichen.


Dazu müssten nicht parteigebundene gesellschaftliche Kräfte (Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und Kulturorganisationen, antifaschistische und migrantische Verbände etc.) gemeinsam Strategien zu Verbesserung der Lebensverhältnisse entwickeln. Diesen Vorschlag unterbreitete interessanterweise auch Thüringens Staatsminister Benjamin Hoff (LINKE), jedoch erst nach der Wahlniederlage – warum nicht vorher? Diesmal sollten wir keine Zeit verlieren.
Dr. Ulrich Schneider, Kassel

Pressemitteilung der VVN-BdA zu den Wahlergebnissen in Thüringen und Sachsen

2. September 2024

„An dem Tag, an dem ein Faschist eine Wahl gewinnt, erklärt der Bundespräsident die Begrenzung der Migration zur Obersten Priorität. Nicht den Kampf gegen den Faschismus.“ Erstmals seit 1945 ist es einer im Kern faschistischen Kraft in Deutschland gelungen, in zwei Bundesländern einen Großteil der Stimmen auf sich zu vereinigen.

Antifaschistische Organisation und Politik sind nötiger denn je!
Der AfD ist es in Thüringen zum ersten Mal gelungen, als eindeutig faschistisch dominierte Partei stärkste Kraft in einem Bundesland zu werden. In Sachsen belegt sie mit minimalem Abstand zur führenden CDU den zweiten Platz. Damit ist die von Antifaschist*innen seit langem befürchtete Katastrophe eingetreten. Die Auswirkungen auf die demokratische Zivilgesellschaft und emanzipatorische Projekte werden zweifellos verheerend sein.

Der AfD gelingt unter Führung des Nationalsozialisten Björn Höcke ein entscheidender Schritt zur Macht. Die Niederlage Höckes beim Kampf um das Direktmandat ist dabei nur ein schwacher Trost, zeigt aber, dass gezielte Kampagnen gegen Kandidaten der AfD sinnvoll und erfolgreich sein können. Es bleibt abzuwarten, ob daraus innerparteiliche Verwerfungen oder Konsequenzen folgen. Dieser Wahlsieg der AfD kommt nicht überraschend, sondern hat sich über Jahre abgezeichnet. Eine wesentliche Ursache dafür ist, dass es der AfD gelungen ist, den rechten Mythos von der Migration als „Mutter aller Probleme“ ins Zentrum der der politischen Debatte zu bringen und sämtliche Themen jenseits der Faktenlage auf den Aspekt der Migration zuzuspitzen. Dies war und ist nur möglich, weil alle relevanten Parteien der Schwerpunktsetzung der AfD folgten. Inhaltlich entsteht in der politischen Arena so ein politischer und rhetorischer Überbietungswettkampf nach rechts. Dieser ist gegen nazistische Parteien logischerweise nicht zu gewinnen.

In den Wahlkämpfen der letzten Monate überwogen eindeutig bundespolitische Themen und die dazugehörigen Forderungen. Lösungsorientierte Ansätze für die sozial- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen kamen in der öffentlichen Debatte nicht zum Tragen. Die ungehemmte Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben geht weiter: immer mehr Reiche werden von Millionären zu Milliardären, während immer mehr Menschen kaum noch ihre Miete bezahlen können und Soziales, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur chronisch unterfinanziert sind. Das sichtbare Elend in den Städten wächst. Klimaschutz und Verkehrswende bleiben auf der Strecke. Statt hier tragfähige Konzepte zu entwickeln, werden seit Jahren rassistische und sozialdarwinistische Ressentiments bedient und dabei bis tief in die Gesellschaft legitimiert. Die weitere Abschottung Europas gegen Menschen auf der Flucht, der schändliche Umgang mit den afghanischen „Ortskräften“, Einführung von Chipkarten statt Bargeld für Geflüchtete oder das Ansinnen von FDP und Union, das sogenannte Bürgergeld (aka Hartz IV) unter das bestehende Existenzminimum zu streichen, sind Ausdruck dessen. Das politische Programm der AfD führt so schon jetzt zur wachsenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, paradoxerweise insbesondere unter ihren Wählerinnen und Wählern.

Spätestens die Resultate in Thüringen und Sachsen zeigen: es lohnt sich für die anderen Parteien nicht, die Menschenfeindlichkeit der AfD zu übernehmen. Diese Strategie kann und wird keine Erfolge liefern. Statt auf Ausgrenzung gegenüber Geflüchteten und Armen zu setzen, müssen alle demokratischen und emanzipatorischen Kräfte Werte der Solidarität und des Humanismus in den Vordergrund stellen. Dem Aufstieg der AfD als parlamentarischer Ausdruck des Faschismus in der BRD muss eine Politik der sozialen Gerechtigkeit und der Verteidigung der Menschenrechte für alle entgegengesetzt werden.

Die AfD muss auf allen Ebenen bekämpft werden, persönlich, gesellschaftlich, politisch, juristisch! Macht mit bei Aufstehen gegen Rassismus, unterstützt die Kampagne „AfD-Verbot jetzt!“ und werdet zum nächsten Parteitag der AfD Teil von Widersetzen!
Wir würden uns freuen, wenn Sie unsere Pressemitteilung in ihrer Berichterstattung berücksichtigen.
Vielen Dank!
Freundliche Grüße

Hannah Geiger

Hannah Geiger, Pressereferentin
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes –
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten
(VVN-BdA) e.v.
Tel.: +49 (0)30 5557 9083 4
Mobil: 0178 2785958
E-Mail: presse@vvn-bda.de

Bürgerdialog für Demokratie und Vielfalt!

2. September 2024

Aufruf zur Kundgebung: „Bürgerdialog für Demokratie und Vielfalt“ am 06. September
auf dem Husumer Marktplatz!


Liebe Initiativen, Vereine, Parteien, Unternehmen, Organisationen, Bürger und Bürgerinnen,

Wir laden Sie und Euch herzlich ein, sich am Freitag, dem 06.09.2024 ab 15.30 Uhr auf dem Husumer Marktplatz zum „Bürgerdialog für Demokratie und Vielfalt“ zu versammeln und gemeinsam eine lebendige, bunte Kundgebung zu gestalten.


Nordfriesland ist bunt!
Dies zu zeigen und zu leben ist uns immer wieder ein großes und wichtiges Anliegen. Die Wahlen in Ostdeutschland beschäftigen viele Menschen, die Meinungen gehen weit auseinander, der Spalt in der Gesellschaft scheint immer tiefer zu werden, grauenvolle Attentate erschüttern uns zutiefst und fordern uns am tiefsten Nerv unseres demokratischen Freiheitsverständnisses heraus. In dieser Stimmung lädt die AFD Schleswig-Holstein, die spätestens mit dem Vernetzungstreffen mit Rechtsextremisten und Nazis in Neumünster gezeigt hat, dass sie nicht auf demokratischem Boden verankert ist, zu einem Bürgerdialog im Raum Husum ein.

Mit dem Bürgerdialog für Demokratie und Vielfalt möchten wir daher ein Zeichen gegen die rechtsextremen Positionen der AFD setzen, deutlich machen, dass sie zwar demokratisch gewählt, aber keineswegs demokratisch orientiert ist. „Vielfalt tötet!“ ist nur einer von vielen hetzerischen und populistischen Originaltönen des stellvertretenden Landesvorsitzenden der AFD. Gegen diese Hetze stellen wir uns und stehen stattdessen für konstruktiven Austausch, Zusammenhalt und Vielfalt.

Was erwartet Sie/Euch?
Ein fantasievoller Redebeitrag, Musik, Sprechtische zu verschiedenen Themen, an denen man auch seine Sorgen und Bedenken loswerden kann, Austausch, Diskussion, Miteinander und mehr….

Wir freuen uns auf Ihre/Eure Teilnahme!
Bringt viele und fantasievolle Plakate / Transparente mit, seien wir bunt und fröhlich! Gemeinsam sind wir eine lebendige und engagierte Gesellschaft, die auf den Grundprinzipien der Demokratie beruht. Machen Sie/Ihr mit, stellen wir uns dem Rechtsextremismus entgegen und stärken wir gemeinsam die demokratischen Grundwerte!

Datum: Freitag, 06.09.2024 ab 15.30 Uhr
Ort: Husumer Marktplatz

Wir freuen uns, wenn Sie / Ihr diesen Aufruf auch an weitere passende Initiativen, Vereine, Parteien, Organisationen, Freunde und Freundinnen in Nordfriesland weiterleitet.

Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.

Stellungnahme – VVN-BdA Solingen

2. September 2024

Angriff auf den „roten Winkel“

6. August 2024

Angriff auf den „roten Winkel“

Vor einiger Zeit vernahm man lautstarkes Getöse aus dem Berliner Innensenat und vom hessischen Innenminister. Sie forderten die Innenministerkonferenz und die Bundesinnenministerin auf, den „roten Winkel“, den sie glaubten als „Hamas-Symbol“ denunzieren zu können, zu verbieten. Sie stützten sich dabei auf einzelne Fotos aus Kreuzberg und einigen Stadtteilen Londons, wo an öffentlichen Stellen ein längliches rotes Dreieck – angeblich zur „Feindmarkierung“ – zu sehen war.
Wie wenig historische Bildung muss in den Köpfen dieser Politiker angekommen zu sein, wenn sie glauben, dies sei der „rote Winkel“?

Wir erinnern daran: Der „rote Winkel“ war die „Feindmarkierung“ des NS-Regimes gegen seine politischen Gegner und später aller Häftlinge aus den überfallenen Ländern, die in den Konzentrationslagern den roten Winkel mit einem Nationalitätenbuchstaben tragen mussten. Sie trugen ihn – nach der Befreiung von Faschismus – mit Stolz, in dem Bewusstsein, den faschistischen Terror überstanden zu haben und sich dem politischen Vermächtnis der Überlebenden – bis heute – verpflichtet zu fühlen. Wer also glaubt, den „roten Winkel“ verbieten zu können, der versucht damit das europäische antifaschistische Vermächtnis zu verbieten.
Vor einigen Jahren tönte schon einmal die Trump-Regierung, man müsse „die Antifa“ als Terrororganisation brandmarken. Damals nahmen Politiker der CDU/CSU diese „Vorlage“ gerne auf. Heute denunziert die ungarische Staatsanwaltschaft „die Antifa“ als internationales Terrornetzwerk und die bundesdeutsche Justiz liefert Beschuldigte auf fragwürdiger Grundlage nach Ungarn aus.
Solche Angriffe auf die Idee des Antifaschismus und ihre Organisationen sind in der BRD nicht neu. Immer wieder versuchten Bundes- und Länderregierungen Antifaschismus zu denunzieren und dessen Symbole zu kriminalisieren. Schon zweimal untersagte die Berliner Regierung am 8./9. Mai ein würdiges Gedenken an die Befreier und die Befreiung durch die militärischen Kräfte der Anti-Hitler-Koalition. Mit Polizeieinsatz wurde die öffentliche Präsentation deren Symbole an Gedenkorten in Berlin unterbunden.
Selbst mit dem Mittel des Steuerrechts, dem versuchten Entzug der Gemeinnützigkeit für die VVN-BdA, wurde antifaschistische Arbeit torpediert. Einer breiten gesellschaftlichen Solidarität war es zu verdanken, dass dieser Angriff auf die älteste überparteiliche antifaschistische Vereinigung in unserem Land abgewehrt werden konnte.

Gegen solche politische Bestrebungen treten wir – gemeinsam mit anderen europäischen Antifaschisten – auf. Die Bewahrung des politischen Vermächtnisses der Überlebenden der Lager und Haftstätten, die Würdigung der Befreier und der Befreiung sind unser Leitmotiv.
Der „rote Winkel“ bleibt unser Symbol. Der lässt sich nicht verbieten!

Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e.V.
Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/ Freundeskreis e.V.

Israel – Palästina

20. November 2023

VVN-BdA solidarisch mit den Opfern des antisemitischen Massakers

10. Oktober 2023

Warnung vor Gewaltspirale

Wir sind in tiefer Trauer über die vielen Toten der letzten Tage und die grauenhafte Gewalt, die diese Woche überschattet. 700 Frauen, Kinder und Männer wurden in ihren Wohnungen hingerichtet, entführt, vergewaltigt und durch die Straßen gezerrt. Wir verurteilen den Terror der islamistischen Hamas und den Antisemitismus, der sich in diesen Tagen – nicht nur im Nahen Osten – Bahn bricht. Wer die Gewalttaten der letzten Tage „feiert“, sich über den Tod hunderter Menschen freut und ihn als „Befreiung“ tituliert, stellt dadurch seine Menschenverachtung zur Schau. Wir sind in Gedanken bei allen Menschen in Israel und in Gaza, die bei Bombenangriffen getötet und verletzt wurden. Unsere Anteilnahme gilt auch jenen, deren Angehörige und Freund*innen sich derzeit in der Gewalt der Hamas befinden.

Als Vereinigung, die auch von jüdischen NS-Verfolgten gegründet wurde, möchten wir außerdem daran erinnern, dass noch heute circa 150.000 Menschen in Israel leben, die einst die Shoah überlebten und Zuflucht in Israel fanden. Wir hoffen, dass alle diese schreckliche Zeit überstehen.

Der vergangene Samstag war auch ein schwarzer Tag für alle, die sich im Nahen Osten für ein menschenwürdiges Leben für alle und gegen religiösen Fanatismus einsetzen. Die demokratische Zivilbewegung in Israel und ihr Protest gegen den Demokratieabbau im eigenen Land dürfte vorerst an ihr Ende gekommen sein.

Wir warnen vor der Gewaltspirale, die sowohl für die israelische als auch für die palästinensische Bevölkerung nur weitere Katastrophen bereithält und appellieren an die politischen Verantwortlichen, eine gewaltfreie Antwort auf den schrecklichen Terror zu finden. Gaza dem Erdboden gleichzumachen und dabei hunderte Zivilist*innen zu töten, bringt weiteres unvorstellbares Leid mit sich und befeuert die Gewaltspirale. Wir warnen auch vor rassistischen Reflexen, die arabische und palästinensische Menschen mit Antisemitismus gleichsetzen und von rechten Akteur*innen hier in Deutschland für ihre Zwecke missbraucht werden.

Zum Nachlesen: Unser Beschluss „Gegen jeden Antisemitismus“ von unserem Bundeskongress 2011.

Cornelia Kerth und Florian Gutsche, Bundesvorsitzende der VVN-BdA

Marianne Wilke

23. Juli 2023

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

liebe Freundinnen und Freunde,

am 17. Juli 2023 verstarb in den Mittagsstunden unsere Ehrenvorsitzende Marianne Wilke im Alter von 93 Jahren im Kreise ihrer Familie.

Bis zuletzt informierte sie als Zeitzeugin Schülerinnen und Schüler über die Verbrechen des Naziregimes.
Noch am 10. Mai beteiligte sie sich am Informationsstand zum neunzigsten Jahrestag der Bücherverbrennung in Wedel. 

Die VVN-BdA Schleswig-Holstein verliert mit dem Tod von Marianne Wilke ihre ehemalige Vorsitzende, deren Leben und Handeln geprägt war durch die Inhalte des Schwurs von Buchenwald:

»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.«

Marianne schloss Diskussionsrunden mit Schülerinnen und Schülern mit einem Zitat von »Die Ärzte«:

»Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.«

Matthias Behring

Landesvorsitzender VVN-BdA SH

HIROSHIMA

17. Juli 2023

Dr. med. Mechthild Klingenburg-Vogel

IPPNW

(Internationale Ärzt*innen gegen Atomkrieg und in sozialer Verantwortung)

HIROSHIMA
mahnende Erinnerung, Gewöhnung an die unvorstellbare Zerstörung oder gar illusionäre Verlockung, durch eine einzige Atombombe einen Krieg beenden zu können?

Alljährlich finden am 6. und 9. August Gedenkveranstaltungen für die Opfer der US-Atombomben auf die Städte Hiroshima und Nagasaki statt, um aus Entsetzen über den Einsatz derart zerstörerischer Waffen ein „Nie Wieder“ zu fordern. Immer wieder übersteigt es unser Vorstellungsvermögen, dass Hunderttausend – fast nur Zivilisten sowie 40 000 koreanische Zwangsarbeiter, dass hunderttausend Menschen in den ersten Sekunden sofort starben und von ihnen im 7.000 Grad heißen Zentrum oft nur ihr in den Stein eingebrannter Schatten übrig blieb. Die Leiden der Hunderttausend sind selbst in der nachträglichen Einfühlung unerträglich. Sie starben qualvoll in den folgenden Wochen an der akuten Strahlenkrankheit, an ihren schweren Verletzungen und an Infektionen, – meist ohne medizinische Hilfe, denn auch fast 90 % der Ärzte und Schwestern waren umgekommen, die Krankenhäuser waren fast vollständig zerstört! Die eingeflogenen US-Ärzte kamen lediglich, um die medizinischen Folgen zu dokumentieren, nicht, um zu helfen.
Der diesen Tod bringende Pilot gab seinem Flugzeug den Namen seiner Mutter, „Enola Gay“ und taufte die Bombe „Little Boy“! Was für eine Perversion, welches Tod bringende Ungeheuer wurde von dieser stählernen Mutter geboren! Diese einzelne, 64 Kg schwere Uranbombe hatte die Sprengkraft von 13 kt TNT, das entsprach 2 500 herkömmlichen Bombenladungen!
Die über Nagasaki am 9. August gezündete Plutoniumbombe „Fat Man“ hatte eine noch größere Sprengkraft. Es entstand ein 300 000 Grad heißer Feuerball, der am Boden mit noch 3 000 Grad alles verglühen ließ. Auch hier waren es fast nur Zivilisten, die getötet wurden. Unter den 70 000 Opfern in Nagasaki, die bis Ende 1945 starben, waren nur 300 Soldaten! Es handelt sich also um schwerste Kriegsverbrechen, die aber nie zur Anklage kamen!
Das unvorstellbare Leid einer so unfassbar großen Zahl von Opfern übersteigt jede menschliche Einfühlungsfähigkeit. Nur durch die erschütternden Berichte einzelner Überlebender, der Hibakusha, kann man ahnen, wie noch jahrzehntelang die äußeren Wunden, vor allem schwerste Brandverletzungen und Knochenbrüche, unzählige Operationen nötig machten, während die inneren Wunden, das Trauma des Erlebten, unaussprechbar blieb, nicht mitgeteilt, nicht geteilt werden konnte. Die Trauer über den Verlust so vieler Angehöriger und Freunde, die Angst, an Krebs zu erkranken oder ein missgebildetes Kind zu bekommen, wurde abgekapselt, weil jahrelang kein sozialer Raum dafür bereitgestellt wurde. Die Überlebenden, die „Hibakusha“, waren sogar lange gesellschaftlich geächtet und wurden gemieden. Oft verheimlichten Überlebende ihr Opfersein sogar ihren Kindern, weil diese sonst keinen Ehepartner gefunden hätten.
Dann aber waren es gerade die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki, die es sich zur Aufgabe machten, die Weltöffentlichkeit über die entsetzlichen Folgen dieser zerstörerischsten aller Waffen zu informieren und jeden weiteren Einsatz einer Atombombe zu verhindern.


Hat die Welt, haben insbesondere die USA aus Entsetzen über dieses „man-made disaster“ innegehalten mit dem Wahnsinn des atomaren Rüstungswettlaufs? Gab es ein Anerkennen der Schuld? Gab es öffentliche Reue, die zur Verbannung dieser teuflischen Waffe geführt hätte? Nein!
Es dauerte bis 2016, bis Barack Obama als erster US-Präsident an der jährlich in Hiroshima stattfindenden Gedenk- und Friedensfeier teilnahm. Aber auch von ihm kam kein Wort der Entschuldigung.
Der Bürgermeister von Hiroshima, selbst ein Atombombenopfer, rief 1982 die Initiative „Mayors for Peace“ ins Leben, der inzwischen in 166 Ländern über 8 000 Städte, davon 845 in Deutschland, beigetreten sind.
1980, mitten im Kalten Krieg, gründeten 3 russische und 3 US-amerikanischen Ärzte die „International Physicians for the Prevention of Nuclear War – IPPNW“, der bis zu 200 000 Ärztinnen und Ärzte weltweit angehörten. Die deutsche IPPNW warnte „Wir werden Euch nicht helfen können!“ und „Die Überlebenden werden die Toten beneiden!“ sowie „Unser Eid auf das Leben verpflichtet uns zum Widerstand!“. Für ihre Aufklärung über die medizinischen Folgen eines Atomkriegs wurde die IPPNW 1985 mit dem Friedensnobelpreis geehrt.


Durch das atomare Wettrüsten verfügen die – inzwischen 9 – Atommächte über ein Kernwaffenarsenal, mit dem sie unsere Welt mehrfach zerstören und alle Zivilisation auslöschen könnten. Doch auch ein sog. „begrenzter“ Atomkrieg – falls der sich überhaupt begrenzen ließe – mit weniger als 3 % des gesamten atomaren Arsenals, z. B. „nur“ 500 Atombomben à 100 kt Sprengkraft, hätte immer noch weltweit fürchterliche Folgen: vor allem käme es durch den aufgewirbelten Staub und Ruß für Jahre zum nuklearen Winter, der zu einer Hungersnot mit bis zu 2 Milliarden Toten führen würde.
In den 80-er Jahren stieg mit der Aufstellung der Kurz- und Mittelstreckenraketen in der BRD die Atomkriegsgefahr infolge der kurzen Vorwarnzeiten von nur noch 15 Minuten massiv. D. h., in 15 Minuten müsste entschieden werden, ob es sich um einen gegnerischen Erstschlag oder um einen Fehlalarm handelt, also ob die eigenen Atomraketen gestartet werden müssten, bevor sie durch einen Erstschlag des Gegners vernichtet würden. Wenn die Befürworter der Abschreckungsdoktrin behaupten, dass durch das „Gleichgewicht des Schreckens“ – wer als Erster schießt, stirbt als Zweiter – bisher ein Atomkrieg habe verhindert werden können, dann verleugnen sie, dass es mehrfach um Haaresbreite fast zu einem „Atomkrieg aus Versehen“ gekommen wäre. Gerade in Krisenzeiten und bei Manövern kann es leicht zu menschlichen Fehlinterpretationen oder zu Computerfehlern kommen.


Die in der Anerkennung dieser Gefahren geschlossenen Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge, sind fatalerweise heute fast alle gekündigt!
Zwar wurde die Gesamtzahl der atomaren Sprengköpfe vor allem auf strategischen Langstreckenwaffen mit hoher Zerstörungskraft reduziert, stattdessen wurden die Atomwaffen modernisiert und sog. taktische Atomwaffen entwickelt, mit der Vorstellung, diese im Gefechtsfeld einsetzen und durch einen begrenzten Atomschlag den Gegner so massiv schädigen zu können, dass dieser dann kapitulieren würde. Diese gefährliche Illusion eines begrenzbaren begrenzten Atomkriegs könnte durch die – von Historikern widerlegte – Behauptung genährt werden, dass durch die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki Japan sofort zur Kapitulation gezwungen worden sei, weshalb eine Invasion amerikanischer Soldaten nicht mehr nötig gewesen sei. Das hätte Hunderttausenden amerikanischen Soldaten das Leben gerettet!
Weil akut im Ukrainekrieg die Gefahr für einen Einsatz von Atomwaffen steigt wie seit der
Kubakrise nicht mehr, wurde die sog. Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr, auf 90 Sekunden vor 12 gestellt! Dass wir am Rande eines Atomkriegs stehen, wird durch die Militarisierung der Berichterstattung verdrängt.
Eine Initiative aus weltweit mehr als 600 Friedensvereinigungen, die in ICAN (Int. Campaign Against Nuclear Weapons) zusammengeschlossen ist, hat es geschafft, dass 2017 von einer Mehrheit der Staaten in der UNO der Atomwaffenverbotsvertrag AVV (Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapans TPNW) beschlossen wurde. Dafür erhielt ICAN 2017 den Friedensnobelpreis.
Seit Januar 2021 ist der Atomwaffenverbotsvertrag Teil des humanitären Völkerrechts. Mit Verweis auf die nukleare Teilhabe – (deutsche Piloten fliegen die ca. 20 US-Atombomben in Büchel im Ernstfall gegen Russland) – und die Weigerung der Atommächte, atomar abzurüsten, verweigert die Bundesregierung bisher, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten.
Erstmals wird in diesem Vertrag auch eine Wiedergutmachung für die Opfer von Hiroshima und Nagasaki und die Opfer der über 2000 Atomtests sowie die Dekontamination ihres Landes gefordert.
Der Atomwaffenverbotsvertrag gibt Anlass zu neuer Hoffnung, denn er wird vor allem von den Völkern des globalen Südens unterstützt, die sich aus der kolonialen Bevormundung befreien, lässt hoffen, dass mit dem Atomwaffenverbotsvertrag die Menschheit sich aus der nuklearen Geiselhaft der Atommächte befreien könnte. Deshalb ist es wichtig, dass wir weiterhin die Bundesregierung drängen, endlich dem AVV beizutreten und die US-Atomwaffen aus Deutschland zu verbannen!

Wedeler Ostermarsch 2023

26. April 2023

Friedensnetzwerk Kreis Pinneberg
c/o Irmgard Jasker
Hasenkamp 8
22880 Wedel
irmgard@jaskers.de
04103 – 3386 Wedel, 12. April 2023


Wedeler Ostermarsch 2023 am Ostersamstag, 8. April 2023


Der Wedeler Ostermarsch 2023 zeichnete sich durch Solidarität und Einstehen füreinander aus. Trotz des eisigen Wetters kamen 125 Friedensbewegte auf den Rathausplatz, wo sie gleich zu Beginn von der Hamburger „Songgruppe André Buschmann“ mit bekannten Ostermarschliedern begrüßt wurden. Es gab Musik zum Mitsingen.
Irmgard Jasker begrüßte die Anwesenden im Namen des Friedensnetzwerkes Kreis Pinneberg und machte darauf aufmerksam, was für ein breites Spektrum auf dem Platz sichtbar wurde. Es gab internationale Musik und internationales Fingerfood. Am Bücherstand von Dorothea Ginolas gab es wunderschöne Karten und zauberhafte Kinderbücher, teilweise sogar in ukrainischer Übersetzung.
Die Auftaktrede von Julia Brügmann (Die Linke) stand im Zeichen der österlichen Hoffnung, der Hoffnung, dass die Zerstörungen aufhören können, dass niemand mehr unnötig sterben dürfe, dass alle gleich wertvoll seien und Kriege enden können.
Als Erzieherin versucht sie, auch den Kindern beizubringen, Probleme mit Worten zu lösen.
Leider ist die Realität anders, scheinen Menschen nicht aus den alten Fehlern zu lernen bzw. sprach Julia Brügmann die wirtschaftlichen Interessen an. Während die einfachen Menschen in allen Kriegen nur verlieren und nichts sehnlicher als Frieden wünschen, gibt es die Profiteure des Mordens. Die Rednerin empfiehlt von den Kindern zu lernen, dass alle Menschen gleich sind in ihren Hoffnungen und Wünschen.
Ralph Urban vom IPPNW warnte einerseits vor der Eskalationsdynamik des Ukraine-Krieges, andererseits vor dem gefährlichen „Gewöhnungseffekt“. Es gelte alle Anstrengungen zu unternehmen für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Jeder Krieg bringe Kriegsverbrechen mit sich. Und dann dürfe man in diesem Fall die Atomkriegsgefahr nicht unterschätzen, in der kein Arzt mehr helfen könne. Ralph Urban zeigte die verheerenden Folgen des Einsatzes auch nur einer Atombombe auf. Er sagte abschließend: „Der Königsweg zur Verhütung eines Atomkrieges ist die Abschaffung aller Atomwaffen!“ Er zitierte aus einem IPPNW-Papier, in dem detaillierte Empfehlungen für Friedenspläne zu finden sind und erklärte, dass es des Drucks auf beide Seiten bedürfe, um die Kontrahenten an den Verhandlungstisch zu bringen. Das sei zwar nicht leicht, aber u.a. Aufgabe der Friedensbewegung, z.B. unsere Regierung dazu zu bringen, mit der Ukraine zu reden, wie eben auch China seinen Einfluss auf Russland nutzen müsse. Uta Amer vom Friedensnetzwerk Kreis Pinneberg zählte noch einmal alles auf, was wir tun müssten, weil wir es der kommenden Generation schulden:

  • Keine Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete
  • Rückkehr zu den Atomwaffenverbotsverträgen bzw. den Kontrollverträgen
  • Stopp der Wirtschaftssanktionen gegen Russland
  • Keine Kriegsrhetorik
  • Schutz für Flüchtende
  • Transparenz über das Vorgehen der Rüstungslobby … u.a. mehr


Zwischen den engagierten Reden gab es sehr gute Musik von Katja Kaye, Nancy Gomez, Dirk Wilke. Besonders beeindruckend war Hüseyin Dönmez mit dem Spiel auf der Saz und seinen türkischen Friedensliedern. Er begleitete auch Hüseyin Gürbüz mit der Saz, der eigene Friedensgedichte vortrug.
Wegen der fortgeschrittenen Zeit und dem eisigen Wind zitierte Irmgard Jasker nur ein paar Zeilen aus dem Grußwort von Lilo Blunck, die vor genau 40 Jahren auf dem OM Kreis Pinneberg gesprochen hatte und leider nicht selbst aus Halle kommen konnte: „Wir müssen Feindbilder überwinden … Waffen schaffen keinen Frieden…
Nicht Demokratie und Menschenrechte, nicht einmal die Freiheit, sondern der Frieden muss global der oberste Wert bleiben, schrieb Egon Bahr 2013.“ Wer wollte, bekam das ganze Grußwort in Papierform mit auf den Weg. 70 wollten! Dann ging es endlich los.
Der Ostermarsch durch Wedel endete auf dem Theaterschiff Batavia, wo die Ostermarschierer*innen in guter Tradition mit Schmalzbroten und Sol-Eiern gestärkt wurden und natürlich mit den Getränken und Speisen der Batavia. Hier gab es die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Und am Ende freuten sich alle auf die erhoffte Musik der Oma-Körner-Band bzw. ihren „restlichen“ Mitwirkenden Gudrun Rieffel, Stefan Schmidt-Brockmann, Jens Wilke und Horst Warncke. Kapitän Hannes übergab dem immer noch aktiven Ehepaar Wolfram und Irmgard Jasker einen Gutschein für einen der besonderen Batavia-Abende. „Zu und zu schön!“ konnte Irmgard Jasker nur noch sehr gerührt sagen.
Die Rückmeldungen waren einhellig positiv. So solidarisch und miteinander verbunden könne nur der Ostermarsch in Wedel sein. In dem Sinne gehe es mutig weiter zu den nächsten Friedensaktionen.
Zur Freude aller gab es weder eine Gegendemonstration, noch sogenannte Querdenker oder Rechte.

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