Die Landtagswahlen in den drei Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen liegen bereits mehrere Wochen zurück, dennoch bewegen die Ergebnisse bis heute die antifaschistische Debatte. Selbst die Mainstream-Medien berichten häufiger von den Konsequenzen, insbesondere, weil sich die Regierungsbildung kompliziert entwickelte. In ersten Reaktionen schwankten die Berichte – je nach politischer Orientierung – von einem Abgesang der Ampel-Koalition bis zu „gerade noch einmal gut gegangen“. Ein genauerer Blick auf einzelne Ergebnisse ist lohnend.
Trotz aller antifaschistischen Aufklärungsarbeit („Höcke ist ein Nazi“) in allen drei Bundesländern, Dorf- und Straßenagitation von „Aufstehen gegen Rassismus“ und anderen antifaschistischen Netzwerken, gelang es nicht, jeweils etwa dreißig Prozent der Wählenden davon abzuhalten, ihr Kreuz bei der AfD zu machen. In Thüringen wurde die offen faschistische Höcke-AfD die stärkste Kraft im Landtag, in Sachsen und Brandenburg landete die Partei knapp hinter den jeweiligen Ministerpräsidenten, die sich als „letzte Bastion“ gegen die AfD präsentierten. Daraus abzuleiten, dass deren Parteien eine entsprechend große Zustimmung bei den Wählenden erreicht hätte, ist abwegig, wenn man nur die desaströsen Resultate der SPD in Thüringen und Sachsen oder der CDU in Brandenburg betrachtet. Es ist offenkundig, die Wahl der beiden Ministerpräsidenten war eher eine Anti-AfD-Stimme, weniger eine Stimme für ihre Partei. In Thüringen ergab sich die Besonderheit, dass Ministerpräsident Ramelow für die LINKE antrat, die sich durch die Abspaltung des Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) in einem problematischen Zustand befindet. Trotz eines auf den anerkannten Ministerpräsidenten konzentrierten Personenwahlkampf verlor die Partei mehr als 50% der Stimmen. Ein deutliches Signal ihrer politischen Schwäche ist die geringe Zahl von Direktmandaten, die die LINKE nur in einzelnen Großstädten erringen konnte. In Sachsen rettete ihr dies das Überleben im Landtag. Auf dem Land und in den Kleinstädten verlor sie massiv. In Brandenburg führte es dazu, dass zum ersten Mal seit 1990 keine linke Partei mehr im Landtag vertreten ist.
Wenn die LINKE als politischer Akteur nicht nur in den östlichen Bundesländern eine Rolle spielen will, dann müssen hier nicht nur wohltönende Worte, wie auf dem Bundesparteitag in Halle/S., sondern tatsächliche Neuorientierungen in Richtung der arbeitenden Menschen folgen. Im „Neuen Deutschland“ glaubte ein Kommentator, aufgrund der Wahlergebnisse der Linken empfehlen zu müssen, sich vom Proletariat als gesellschaftsverändernde Kraft zu verabschieden und das „woke“ großstädtische Kleinbürgertum zur Zielgruppe linker Politik zu erklären. Doch dann hätte diese Partei tatsächlich ihre politische Berechtigung verloren.
Unbestrittene Siegerin dieser Wahlen ist die AfD. Der Partei ist es gelungen, Themen für sich auszunutzen, die auch die Mainstream-Medien in den vergangenen Monaten mit spektakulären Berichten in den Vordergrund schoben. Dazu gehören die Kernthemen der extremen Rechten: „Angst vor Flüchtlingen“ und Zuwanderung sowie „Sicherheit“ und Kriminalitätsangst. Selbst wenn die objektiven Zahlen zu Migration und Kriminalität in diesen Bundesländern eine andere Sprache sprechen, trugen die bundesweiten medialen Kampagnen („Messermord in Solingen“) dazu bei, diesem Thema Nahrung zu geben. Erschreckend ist, dass viele Wählende die Zustimmung zur rassistischen Hetze der AfD, ihre Kritik an Flucht und Migration als Grund für ihre Wahlentscheidung angaben. Und wenn Bundesregierung und CDU nun auf „Law and Order“ machen, bestätigt sich einmal mehr:
Man wählt das Original und nicht die Kopie.
Drei Bereiche der Wahlanalyse müssen zu denken geben. Die AfD ist bei dem Wähler*innen bis 30 Jahren in allen drei Bundesländern die mit großem Abstand erfolgreichste Partei. Die AfD hat sich als attraktive Kraft für Jung- und Erstwähler gezeigt. In Regionen, die durch Abwanderung und Strukturwandel am meisten betroffen sind, sind die Wahlergebnisse für die Partei am höchsten und bei der sozialen Zusammensetzung haben fast 50% derjenigen, die zur Gruppe der Arbeiter gerechnet werden, die AfD gewählt. Kurz formuliert, die AfD ist erkennbar keine „Protest-Partei“ mehr, was Antifaschisten auch früher schon betont hatten. Sie profitiert von der gesellschaftlichen Diskursverschiebung, bei der „Fremde“ und insbesondere muslimische junge Männer als „Bedrohung“ wahrgenommen werden. Die ideologische Langzeitwirkung der PEGIDA-Hetze ist in den Medien und den Köpfen der Wählerinnen angekommen.
Ein Thema hat die Wahlen deutlich beeinflusst, obwohl es originär kein Landesthema ist, die Frage Krieg und Frieden. Natürlich wird Landespolitik durch Hochrüstung und Folgen der militärischen Eskalationen in der Welt mittelbar betroffen, da die Bundesländer Lösungen für die Probleme finden müssen, die Kriege und Waffenexporte in aller Welt geschaffen haben. Auch die fehlenden Zuweisungen im Sozial- und Gesundheitsbereich sind unmittelbar Folge politischer Entscheidungen zugunsten von „Kriegstüchtigkeit“ und „100 Mrd. Sondervermögen“. Erkennbar haben in den drei Bundesländern viele Wählende ihre Entscheidung mit diesem Thema begründet. Der größte Profiteur war das BSW, das auf Plakaten und öffentlichen Auftritten dieses Thema in den Vordergrund gestellt hat. Man kann davon ausgehen, dass in der Altersgruppe ab 50 Jahren diese Haltung besonders honoriert wurde. Bürgerliche Parteien warfen dem BSW deshalb vor, keine landespolitische Kompetenz zu haben.
Zwar versuchte auch die AfD auf diesem Ticket Stimmen zu gewinnen, das machte die Stimme für die AfD aber damit trotzdem nicht zu einer „Anti-Kriegs-Wahl“. In gewisser Weise waren diese Landtagswahlen Stimmungsbilder, die die politische Landschaft verändert haben. Ein sichtbares Signal war die Erklärung der drei möglichen Ministerpräsidenten, die sich für mehr Diplomatie im Umgang mit dem Ukraine-Krieg einsetzten. Während sich das politische Berlin darüber echauffierte, zeigt die Erklärung, dass das Ergebnis für das BSW, das diese Frage zur Vorbedingung für mögliche Koalitionen benannt hat, Bewegung in die politische Landschaft gebracht hat.
Was ist zu tun? Notwendig scheint es, eine neue Strategie gegen den Vormarsch der AfD zu entwickeln. Die richtige Aussage „Höcke ist ein Nazi“ hat erkennbar ein Drittel der Wählerinnen nicht abhalten können, diese Partei zu unterstützen. Metropolen- und szeneorientierte Argumentationen sollten nicht die gesellschaftliche Gegenbewegung prägen. Ein Verbot der AfD wäre nötig, wird aber das Problem nicht lösen. Es müssten stattdessen vielfältige Anstrengungen unternommen werden, eine Diskurs- Verschiebung zu den realen Problemen der Menschen (Bildung und Versorgung der Kinder, Gesundheit und soziale Sicherheit, öffentliche Versorgung und ÖPNV, Arbeitsplätze und gerechte Wirtschaft etc..) zu erreichen. Dazu müssten nicht parteigebundene gesellschaftliche Kräfte (Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und Kulturorganisationen, antifaschistische und migrantische Verbände etc.) gemeinsam Strategien zu Verbesserung der Lebensverhältnisse entwickeln.
Ulrich Schneider